Nicht springen! – Das Bild in unserem Kopf

Peter und Freddy sind Brüder. Als sie 8 und 4 Jahre alt waren, kam Peter, der Ältere, eines Tages nach Hause und sah Freddy im offenen Fenster im 1. Stock stehen. Freddy, der allein zuhause war, winkte begeistert seinem großen Bruder zu und rief: „Schau mal, Peter, was ich kann!“ Er war hocherfreut, daß er es geschafft hatte, aufs Fensterbrett zu klettern und das Fenster zu öffnen. Peter blieb stehen und rief seinem kleinen Bruder in aller Ruhe zu: „Fein, Freddy, bleib stehen! Ich komm gleich zu dir!“ Ganz langsam und ruhig ging er ins Haus, die Treppe hoch, sperrte die Wohnungstür auf und näherte sich behutsam seinem kleinen Bruder, der immer noch im offenen Fenster stand. Er nahm ihn vorsichtig in die Arme und hob ihn runter. Dann brach er ohnmächtig zusammen.

Diese Geschichte hat mir ihre Mutter erzählt, und jedesmal, wenn ich sie erzähle, habe ich einen Kloß im Hals. Stellen Sie sich mal vor, Peter hätte so panisch reagiert, wie es häufig der Fall ist, wäre aufs Haus zugerannt, hätte die Arme hochgerissen und geschrien: „Nicht springen, Freddy!“  Freddy hätte vielleicht verstanden: „Springen, Freddy!“. Oder er wäre angesteckt von Peters Panik unsicher geworden und wäre ins Stolpern gekommen. Das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen: ein zumindest schwer verletztes, vielleicht sogar totes Kind. Denn für Kinder gibt es kein „nicht“. Das ist der Grund, warum diese Art von Unfällen mit Kindern leider oft passiert. Sie hören „spring“, sehen die ausgebreiteten Arme und springen. Peter hatte von seiner Mutter, die Sozialpädagogin ist und mit Kindern arbeitet, gelernt, daß man immer sagen muß, was der andere tun soll, das ist viel leichter auszuführen, als etwas nicht zu tun. Oder wissen Sie, wie „nicht tun“ geht? Der kleine Kerl hatte im Alter von 8 Jahren genau verstanden, auf was es ankam: Ruhe bewahren und eine klare Anweisung geben, dann in aller Ruhe hingehen und den kleinen Bruder in Sicherheit bringen. Das war eine so enorme Anspannung für ihn, daß er daraufhin ohnmächtig wurde.

Das Bild im Kopf ist manchmal unser stärkstes Hindernis, aber – wie man an dieser Geschichte sehen kann – auch unser wichtigster Helfer. Bleiben wir bei Peter und Freddy. Was habe ich im Kopf, wenn ich rufe: „Nicht springen!“? Ich sehe ein springendes Kind, das auf dem Pflaster zerschellt. Alle gräßlichen Bilder, die ich je von zerschlagenen, verrenkten Gliedmaßen und Blut im Rinnstein, von verzweifelten Eltern und hilflosen Ärzten gesehen habe, jagen durch meine Vorstellung. Und ich übermittle dem Kind die Botschaft: Spring! Denn das ist das Bild, das ich im Kopf habe und das ist die Anweisung, die es bekommt. Das „Nicht“ ist dabei völlig belanglos. Ich könnte vorher auch sagen: „Apfelkuchen“ oder „hör mal“ oder was auch immer. Das Unterbewußtsein kennt kein „Nein“. Deshalb reagieren Kinder – und Hunde – auch oft so konträr auf unsere negativen Anweisungen. Denn wenn Freddy nicht springen soll, was soll er dann tun? Ganz einfach: stehenbleiben. Und zwar so lange, bis jemand kommt, der ihn in Sicherheit bringt.

Wir leben in einer Fehlerkultur. Das haben wir so verinnerlicht, daß wir lieber nach Fehlern suchen und „Nicht“-Anweisungen geben, als uns zu überlegen, was wir richtig machen, bzw. wie wir es richtig machen können. Denken Sie doch nur an die Schule. Lernen ist so etwas Wunderbares, jedes Kind freut sich zunächst, wenn es in die Schule kommt und dort etwas Neues lernen darf. Aber im Laufe der Zeit wird das fast allen ausgetrieben. Ein Diktat, in dem von 100 Wörtern 90 richtig sind, wimmelt nur so von roten Anstreichungen, weil bei 10 Wörtern etwas falsch ist. Keiner sagt einen Ton dazu, daß 90 Wörter richtig waren, nur die die mit den Fehlern zählen, egal ob man den Text noch versteht oder nicht. Eine Rechenaufgabe, die einen richtigen Weg nimmt, aber im letzten Schritt einen Fehler macht und zu einem falschen Ergebnis führt, bringt null Punkte, da eben nur das Ergebnis zählt. Ich glaube, daß es ein großer Unterschied ist, wenn ich in eine Prüfung gehe und weiß: wenn ich 90 % richtig habe, dann ist das großartig und ich konzentriere mich automatisch auf das, was ich kann. Aber wenn ich denke: bei 10% Fehlern bekomme ich xy Punkte abgezogen, dann konzentriere ich mich nur auf die Fehler, die ich dann auch prompt mache.

Erinnern Sie sich an die Lehrer, bei denen Sie schon Panik bekamen, wenn sich nur deren Augen auf Sie richteten? Am liebsten wären Sie im nächsten Mauseloch verschwunden. Wenn eins dagewesen wäre und Sie hineingepaßt hätten. Und ganz sicher waren Sie nicht in der Lage das, was Sie eigentlich sicher wußten, so zu vermitteln, daß eine gute Note herausgekommen wäre. Denn Angst macht Stress und unter Stress ist man nicht mehr in der Lage vernünftig zu denken und klaren Kopf zu bewahren, geschweige denn, Anforderungen zu bestehen. Ein Lehrer, Vorgesetzter, Trainer, Partner oder eben auch Hundebesitzer, der nur darauf achtet, was sein Zögling falsch machen kann und damit auch die Aufmerksamkeit seines Gegenübers nur darauf richtet, wie es nicht geht, produziert automatisch das Verhalten, das er nicht möchte. Was der Hund oder Mensch richtig und gut gemacht hat, fällt hinten runter und wird als selbstverständlich vorausgesetzt.

Selbst Dinge, die wir positiv darstellen möchten, werden durch das Wort „nicht“ geprägt. „Geht nicht, gibt’s nicht!“ ist so ein Spruch. Eigentlich möchte man sagen, daß alles geht, wenn man nur will und es richtig angeht. Aber in diesem kurzen Satz mit 4 (vier!!) Wörtern sind zwei davon „nicht“. Oder „Nicht vergessen…“. Wäre es nicht besser zu sagen: „denk dran…“?

Wir haben so eine Angst, etwas falsch zu machen, daß wir uns oft krampfhaft vornehmen, „jetzt“ alles richtig zu machen, z.B. wenn wir ein Kind bekommen, einen neuen Partner finden, eine neue Arbeit antreten oder uns einen Hund ins Haus holen. Womit wir wieder bei den Hunden angekommen wären. Was glauben Sie, wie oft ich von neuen Kunden höre: „Bei diesem Hund möchte ich alles richtig machen, deshalb komme ich zu Ihnen.“ Der Vorsatz ist wunderbar, aber in der Regel steckt die Angst dahinter, etwas „falsch“ zu machen. Und gleicht taucht die nächste Frage auf: was ist richtig und was ist falsch?

Ist es richtig, wenn ein Hund zieht, ist es falsch, wenn er neben Ihnen läuft? Sie haben schon richtig gelesen. Denn diese Frage kann man sehr wohl mit „ja“ beantworten. Wenn ein Hund zieht, weil Sie ständig an ihm rumgezerrt haben, dann hat er recht mit seiner Zieherei, dann ist das richtig, weil Sie ihm gesagt haben: Ziehen ist normal, ich tue das auch. Und wenn Sie ihm mit Druck und unfreundlichen Methoden beigebracht haben, ständig und immer und überall „bei Fuß“ zu gehen, dann ist das falsch, weil es weder sinnvoll noch angenehm ist und den Bedürfnissen Ihres Hundes nicht gerecht wird. Das bedeutet aber nicht, daß es falsch ist, seinem Hund ein Bei-Fuß-Kommando beizubringen, oder richtig, ihn ziehen zu lassen. Verwirrend, oder?

Gehen wir zurück zu den Bildern, die wir im Kopf haben, dann löst sich Ihre Verwirrung hoffentlich auf.

Wir lassen die zahlreichen Gründe, warum unser Bello so schauerlich zieht mal beiseite. Im Moment haben wir dazu keine Zeit, weil uns schon alles weh tut, während er uns den Weg entlang schleppt. In unserem Kopf geht es dauernd rund: jetzt zieht er schon wieder so schrecklich, mein Gott, kann er nicht endlich damit aufhören! Und schon hört Bello: jetzt zieh doch nicht so! Und was macht er? Na, logisch, er zieht weiter. Sie vermitteln ihm ja auch nichts anderes. Sie denken ständig und ausschließlich an einen ziehenden Hund, der sich schon die Seele aus dem Hals keucht und nur noch in Schräglage mit Ihnen als Schleppanker unterwegs ist. Dazu kommen Sie sich – sehr verständlich, aber leider nicht sehr hilfreich – total blöd und lächerlich vor. Sieht ja auch wirklich doof aus, wenn man sich so durch die Gegend schleifen läßt. Aber was tun?

In so einer Situation ist man in der Regel nicht in der Lage, ein harmonisches Bild im Kopf entstehen zu lassen, auf dem Sie und Bello als Dreamteam gemütlich durch die Lande schlendern. Man ist so gefangen von den unangenehmen Gefühlen, dem unerfreulichen Körpergefühl und den Schmerzen in Rücken und Schultern, daß man eigentlich alles tun würde, um hier rauszukommen. Wir hoffen jetzt mal, fast alles. Denn vieles, was als Lösung angeboten wird, ist nicht gut, für Sie nicht und erst recht nicht für Bello.

Wenn ich versuche, ein Bild im Kopf zu ändern, muß ich mir erst bewußt machen, daß ich eines im Kopf habe. Dann muß ich mir darüber klar werden, welches Bild es denn tatsächlich ist. Denn die meisten von uns sind fest davon überzeugt, daß das, was sie gerne hätten, auch das ist, was sie im Kopf haben. Manche Menschen geraten immer wieder in ähnliche Situationen. Wenn sie einen neuen Partner finden, stellt sich in kürzester Zeit heraus, daß er – oder sie – eigentlich nur eine ziemlich genaue Wiedergabe aller vorherigen Partner ist und genau die gleichen unangenehmen Eigenschaften hat. Oder sie nehmen sich fest vor, diesmal einen Hund zu holen, der gesund ist. Und erwischen prompt den einzigen aus dem Wurf, mit dem sie Dauergast beim Tierarzt sind. Oder ihre Chefs sind immer ungerecht, ihre Kollegen immer Mobber, ihre Autowerkstätten werden immer von Betrügern geleitet………. Kennen Sie so jemanden? Und wie ist das bei Ihnen? Haben Sie auch irgendwas, was sich wie ein roter und sehr unerfreulicher Faden durch Ihr Leben zieht? Ein Dauerthema, das Sie gerne endlich erledigt hätten? Zum Beispiel hätten Sie für Ihr Leben gerne endlich einen Hund, der nicht zieht? Aha, schon habe ich Sie erwischt. Was soll er tun? Genau. Er soll locker an der Leine gehen.

Haben Sie gemerkt, wie schnell das geht? Wie einfach Sie Ihr Bild im Kopf finden können? Das tatsächlich Ihr Handeln bestimmt, nicht das, das Sie beim kontrollierten Nachdenken produzieren und das man am ehesten noch als Wunschbild bezeichnen kann.

Wir halten also fest: es gibt zwei Bilder. Eines, das Sie bestimmt, und eines, von dem Sie träumen. Und träumen ist gut, sehr gut sogar. Denn im Traum sehen wir oft, was wir wirklich möchten. Träumen Sie ruhig von einem freudig laufenden Bello, der ganz locker mit Ihnen mitläuft, verbunden durch eine entspannte Leine. Ist das nicht wunderbar?

Lehnen Sie sich zurück, genießen dieses angenehme Gefühl im Rücken, schauen Sie Bello an, wie gut es ihm geht und wie er sie anlacht. Einfach herrlich. Die Sonne scheint und der Himmel lacht, Ihr Nachbar nickt Ihnen freundlich zu, während Sie entspannt mit Bello die Straße entlang gehen. Frau Maier von nebenan winkt Ihnen zu, Herr Huber ruft über den Zaun: „Ist das nicht ein herrlicher Tag heute?“ und Sie bleiben stehen, um mit ihm ein Schwätzchen zu halten. Bello begrüßt Herrn Hubers Susi, die sich hinterm Zaun freut, daß er vorbeikommt. Dann gehen Sie weiter bis zur Wiese. Und an der Wiese leinen Sie ihn ab und machen einen wunderbaren Spaziergang. Mal läuft er ein Stück an der Leine, mal eine Zeitlang frei. Sie spielen mit ihm und haben eine herrliche Zeit. Ganz entspannt kommen Sie beide nach Hause und der Tag ist einfach schön.

Jetzt werden Sie wieder wach, merken, daß Sie geträumt haben und seufzen: schön wär’s. Aber glauben Sie mir, wenn Sie jetzt diesen Traum ganz intensiv empfunden haben, dann haben Sie den ersten Schritt gemacht, um ein neues Bild in den Kopf zu bekommen, das das alte ersetzen kann.

Wenn Sie sich darüber klar geworden sind, daß zwei Bilder – oder auch mehr – zu einer bestimmten Situation in Ihrem Kopf aktiv sind, dann müssen Sie sich überlegen, wo sie herkommen und welches tatsächlich das ist, was Ihr Leben bestimmen soll. Vielleicht ist mal das eine, mal das andere die richtige Lösung.

Sie können sich jetzt vornehmen, immer nur an einen locker leinenführigen Fiffi zu denken. Das geht dann wie mit den guten Vorsätzen an Neujahr. Eine Zeitlang klappt das wohl, aber Ende Januar ist meistens wieder alles beim alten. So einfach ist es eben nicht. Was dagegen möglich ist: Sie fangen an, ein bißchen aufmerksamer sich selbst zuzuhören. Denn wir führen oft Selbstgespräche im Kopf, die das ausdrücken, was wir an Bildern so in uns haben. Und jedesmal, wenn Sie eine „Nicht“-Anweisung geben, egal wem, dann überlegen Sie sich die „So-geht’s“-Alternative.

Hunde reagieren auf unsere Bilder im Kopf, ob wir das glauben oder nicht. Also können Sie nichts kaputt und viel richtig machen, wenn Sie sich zu dieser „So-geht’s“-Alternative auch das entsprechende Bild vorstellen, z.B. Bello springt Sie bei der Begrüßung nicht an, sondern bleibt mit allen vier Füßen am Boden. Oder wenn Sie ihn rufen, sehen Sie sofort einen freudig auf Sie zulaufenden Bello. Wenn’s nicht klappt, geht die Welt nicht unter, wenn’s klappte haben Sie und Ihre Pelznase einen Riesenerfolg.

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Was aber ist bei Fehlverhalten?“

Der folgende Artikel wurde mir freundlicherweise von Marion Elstrod  http://www.hundepartner-remscheid.de/ zur Verfügung gestellt. Es lohnt sich, über Marions Überlegungen nachzudenken und auch in die Tat umzusetzen.

Vor einigen Tagen führte ich eine Korrespondenz zum Thema Leinenführigkeit. Ich vertrat die These, dass man auch Leinenführigkeit über positive Verstärkung beibringen sollte und nicht mit Leinenrucken (auch nicht mit leichten Leinenrucken). Ich bekam eine Mail zurück, in der stand: „Es sieht sicherlich ,netter‘ aus, wenn man den Hund nur positiv belohnt. Was aber ist bei Fehlverhalten? Um einen Hund etwas lernen zu lassen, bringt der Trainer ihn in eine entsprechende Situation und wartet seine Reaktion ab. Wenn das erwünschte Verhalten nicht auftritt, muss der Mensch dem Hund eine Information über den Fehler geben.“ Diese Information könne auch ein Leinenruck oder ein für den Hund unangenehmer Reiz sein.

Der Satz „Was aber ist bei Fehlverhalten?“ setzte mein Gehirn in Gang. Verschiedene Gedanken dazu möchte ich in diesem Text niederlegen.

1) Was ist überhaupt „Fehlverhalten“? In den allermeisten Fällen glaube ich, der Hund zeigt gar kein Fehlverhalten. Er weiß schlicht noch gar nicht, was er lernen soll. Gerade beim Thema Leinenführigkeit wird immer wieder davon ausgegangen, dass der Hund korrigiert werden muss, wenn er das „Fehlverhalten“ zeigt, an der Leine zu ziehen. Keiner hat dem Hund aber vorher beigebracht, was er eigentlich machen soll: nämlich in einem bestimmten Radius um seinen Menschen herum zu sein. Nehmen wir ein anderes Kommando als Beispiel, das Kommando „Sitz“. Die meisten Menschen würden mit mir übereinstimmen, wenn ich sage: Ein Hund, der das Kommando „Sitz“ noch nicht gelernt hat, zeigt kein Fehlverhalten, wenn er steht oder liegt. Ich muss ihm erst einmal beibringen, was „Sitz“ überhaupt bedeutet. Und ich persönlich bringe dem Hund nicht „Sitz“ bei, indem ich, wenn er steht, sage „Nein, Sitz!“ und sein Hinterteil herunterdrücke. Stattdessen lotse ich ihn freundlich in die richtige Position (entweder nur per Körpersprache oder, falls nötig, auch mit Leckerchen) und belohne ihn für das Sitzen. Warum sollte das bei der Leinenführigkeit nicht möglich sein? Dem Hund beibringen, was er tun soll, und ihn nicht dafür strafen oder korrigieren, was er nicht tun soll – das ist für mich ein entscheidender Bestandteil von fairem Hundetraining.

2) Deshalb arbeite ich auch nicht, wie in der Mail an mich beschrieben wurde: Ich als Trainer bringe den Hund nicht in eine Situation, in der es recht wahrscheinlich ist, dass er nicht die gewünschte Reaktion zeigt. Ich bringe den Hund nicht in eine Situation, in der er einen Fehler macht, um diesen Fehler dann (beispielsweise mit Leinenruck) zu bestrafen. Im Gegenteil: Ich gestalte die Trainingssituation so, dass der Hund möglichst viele Erfolge hat, die ich belohnen kann. Hat der Hund nicht innerhalb von wenigen Minuten mehrere Erfolge, so liegt das nicht daran, dass der Hund „schlecht“ oder widerwillig ist, sondern daran, dass ich die Trainingssituationen für diesen Hund zu schwer gestaltet habe. Es liegt an mir, die Situation so zu verändern, dass der Hund schnell Erfolge haben kann.

Erklärt am Beispiel der Leinenführigkeit: Ich bringe dem Hund ein Signal (bespielsweise ein Schnalzgeräusch) bei, welches bedeuten soll: „Bleib in meiner Nähe, und zwar in dem Radius, den die Leine hergibt.“ Dieses Geräusch bringe ich dem Hund zunächst über klassische Konditionierung bei (Schnalzgeräusch = Leckerchen). Wenn die Konditionierung erfolgreich war, bringe ich dem Hund bei, auf das Schnalzgeräusch hin in meiner Nähe zu bleiben, erst für 2 Schritte, dann für 3 Schritte und so weiter. Der Hund wird dafür belohnt, auf das Geräusch hin in meiner Nähe zu bleiben. Man kann es sich vorstellen wie eine ganz lasche Form von „bei Fuß“: Der Hund muss nicht genau neben mir gehen, er darf vorne, hinten, rechts oder links gehen, die Leine soll nur locker sein. Ebenso wie beim „bei Fuß“ übe ich zunächst ganz kurze Strecken und baue dann die Dauer des Gehens an lockerer Leine nach und nach aus.

Ich achte darauf, den Hund nicht zu überfordern, ich übe in kleinen Einheiten, ich pausiere, wenn der Hund müde wird, ich lasse ihn zwischendurch flitzen, ausruhen, trinken, je nachdem, was er gerade braucht. Ich warte nicht absichtlich darauf, dass er zieht, um ihn dann zu korrigieren – wenn er zieht, habe ich einfach zu spät gemerkt, dass er nicht mehr kann.

3) Nehmen wir an, der Hund beherrscht eine Aufgabe eigentlich schon sehr gut, führt sie in einer bestimmten Situation aber nicht aus. Fehlverhalten? Vielleicht. Aber enthält der Ausdruck „Fehlverhalten“ nicht auch eine Wertung und Anmaßung des Menschen, die einem vertrauensvollen Zusammenarbeiten von Mensch und Hund eher entgegensteht? Es gibt viele Gründe, aus denen der Hund eine Aufgabe nicht ausführt, obwohl er sie eigentlich beherrscht. Der Hund kann beispielsweise eigentlich gut „Platz“, will sich aber im Winter nicht auf die vereiste Wiese legen. Er kann gut „Sitz“, hat aber derzeit Schmerzen im Bewegungsapparat und das Absetzen tut ihm einfach weh. Bei solcherlei Gründen bestehe ich nicht auf dem Kommando, dass ich gegeben habe, sondern ärgere mich über mich selbst, dass es mir passiert ist, meinen Hund in eine solche Lage gebracht zu haben.

Ja, es gibt auch Fälle, in denen der Hund einfach mehr Lust hat, etwas anderes zu tun, als das, was ich gerade von ihm verlange. Er ist stärker motiviert, beispielsweise mit einem anderen Hund zu spielen, als mit mir den Spaziergang fortzusetzen. Das bedeutet wieder eine Herausforderung für mich, mein Training gut zu gestalten: Ich muss eine Motivation finden, die für den Hund so hoch ist, dass er mit mir mitkommt. Das Spielen mit anderen Hunden ist kein Fehlverhalten:) Und es liegt an mir, dem Hund sowohl das Spiel mit anderen Hunden zu ermöglichen, als auch zu vermitteln, dass manchmal Weitergehen statt Spielen angesagt ist – und zwar mit positiver Motivation, so, dass es sich für den Hund gut anfühlt.

4) Es gibt auch Handlungen, die Hunde gerne ausführen möchten, die wir aber aus verschiedenen Gründen nicht erlauben können oder wollen. Ja, wir müssen dafür sorgen, dass unsere Hunde diese Handlungen nicht ausführen. Aber auch hier gibt es nicht nur die Möglichkeit, das für uns unakzeptable Verhalten zu korrigieren, zu verbieten, zu schimpfen oder zu bestrafen. Mein Leitsatz ist hier „Alternativverhalten anbieten statt Verbot aussprechen.“ Ein Beispiel: Wenn mein Hund an einer Stelle buddelt, an der ich es nicht erlauben kann oder will, rufe ich nicht „Nein!“ oder rucke ihn an der Leine weg, sondern ich fordere ihn freundlich auf, mit mir weiterzugehen. Dieses Weitergehen kann ich dann wiederum belohnen – ein Verbot kann ich nie belohnen. Für ein faires, vertrauensvolles Training halte ich es für zwingend notwendig, dass der Hund immer wieder etwas richtig machen kann und dafür auch belohnt wird. Daher ist das Alternativverhalten so wichtig: Ich kann den Hund loben und belohnen, wenn er zu mir kommt oder neben mir herläuft, anstatt ein Loch zu buddeln oder ein Reh zu jagen. Ich kann ihn nur schwer für etwas belohnen, was er nicht tut. Die meisten Besitzer und Trainer sind schon allein damit überfordert, überhaupt zu bemerken, dass der Hund gerade etwas nicht tut, weil es verboten ist! Das „brave“ Verhalten des Hundes wird oft weder registriert noch belohnt. Wenn der Hund dann aber wieder etwas „falsch“ macht, wird er korrigiert. In meinem Training ist es genau anders herum: Ich setze meinen Fokus stark darauf, was der Hund richtig macht, und lobe und belohne die richtigen Handlungen immer wieder, so dass sie immer häufiger werden und die unerwünschten Handlungen immer seltener.

5) Diese Art des Trainings bedeutet genauso viel Arbeit wie Training, das auf Korrekturen setzt! Dass der Hund angebotenes Alternativverhalten befolgt, setzt voraus, dass die Kommandos, die als Alternativverhalten angeboten werden sollen, vorher ausführlich und unter allmählich steigender, schließlich auch sehr starker Ablenkung eingeübt und gefestigt wurden. Jedes Training erfordert Genauigkeit, Zeit und ein individuelles Abstimmen auf den Hund. Training, das auf positiver Motivation basiert, bildet hier keine Ausnahme. Das Besondere ist aber, dass eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Hund und Besitzer/Trainer aufgebaut und gefestigt wird, dass der Hund gerne und mit vielen Erfolgen mitarbeitet und dass er Vertrauen darin hat, die ihm gestellten Aufgaben meistern zu können.

Marion Elstrodt
Hundeschule Hundepartner
Hiermit erlaube ich ausdrücklich, diesen Aufsatz, allerdings nur ungekürzt, vollständig und unter Nennung der Quelle, zu verbreiten, auf anderen Webseiten zu veröffentlichen, auszudrucken oder zu verteilen.

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Verräterische Wortwahl – Hunde im Schutzdienst

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 2/2012 von Canisund veröffentlicht.

Wenn Ihr Auto die Straße entlang fährt, wer tut dann etwas? Sie oder das Auto? Schimpfen Sie manchmal beim Tanken, daß der Motor Ihres Wagens zu viel säuft? Bringt es was, wenn Sie mit ihm eine Entziehungskur machen wie bei einem Alkoholiker? Wäre es möglich, daß das Auto ganz ohne Sie einfach so startet und losfährt? Mag sein, daß das irgendwann der Fall sein wird, aber irgendjemand wird doch sicher etwas programmieren oder auf ein Knöpfchen drücken müssen. Hat Ihr Auto einen Namen? Ja? Dann haben wir etwas gemeinsam, unsere Autos werden auch alle getauft.

Was hat das mit Hunden im Schutzdienst zu tun? Ganz einfach: wenn Sie einmal genau zuhören, wie über diese Hunde geredet wird, dann fragt man sich, warum einem Auto individuelle Eigenschaften zugestanden werden, ein Hund aber „gearbeitet, hingesetzt, abgelegt oder im Schutzdienst geführt“ wird. Als wäre er eine Maschine, die man programmieren und bedienen kann. Je nachdem, was man gerade von der Maschine möchte. Wenn der Motor nicht so viel verbrauchen soll, gibt man weniger Gas. Der Hund, der gut im Schutzdienst gearbeitet wird, ist dann eben auch friedlich, in Gegensatz zu dem, der nicht gearbeitet wird. Glauben Sie das wirklich?

Hunde sind die Tiere, die in ihrem Sozialverhalten uns Menschen am ähnlichsten sind. Sie verlaufen in ihrer Kindheit und Jugend ähnliche Phasen wie wir: vom hilflosen Säugling über den renitenten, pubertierenden Jugendlichen bis zum gesetzten Erwachsenen können wir jederzeit viele Parallelen ziehen. Uns allen ist klar, daß Kinder, die mit viel Gewalt und Dressur erzogen werden, die man „abrichtet“, kaum selbständige und selbstbewußte Menschen werden, die in schwierigen Situationen eigenständig sozialverträgliche Lösungen finden. Und Hunde? Ist das bei denen anders? Schließlich hat man des meiste über Lernverhalten bei Experimenten mit Hunden herausgefunden. Und ohne große Bedenken wendet man diese Erkenntnisse auf Menschen an.

Allein schon die Terminologie im Schutzdienst, oder VPG wie es neuerdings heißt, ist sehr entlarvend. Dem Hund wird jede Selbständigkeit abgesprochen, von ihm ist die Rede wie von einem Gegenstand, mit dem eben etwas gemacht wird. Und das entspricht genau der Realität. Als hochsoziale Lebewesen ist es für Hunde durchaus nicht nachvollziehbar, warum sie sich in einen möglichen Sozialpartner, nämlich einen Menschen, so massiv verbeißen sollen, daß sie ihn ernsthaft beschädigen könnten – wäre nicht der Schutzanzug dazwischen. So wie wir sehr genau wissen, daß wir mit unseren Händen andere zärtlich berühren aber eben auch schwer verletzen können, so wissen Hunde, daß ihre Zähne Waffen sind, die man sehr behutsam einsetzen muß, so man ein geachtetes Mitglied der Gemeinschaft bleiben möchte. Dazu ist die Beißhemmung gut, die wir beim Welpen grundsätzlich fördern und trainieren.

Hunde im Schutzdienst, mit denen ihre Hundeführer auf Prüfungen Erfolg haben möchten, müssen deshalb immer mit Gewalt dazu gebracht werden, eine notwendige und von uns geförderte Grenze zu überschreiten: schlage deine Waffen in das menschliche Gegenüber.

Es wird immer behauptet, daß alles, was die Hunde hier lernen, nur zu ihrem Besten ist und rein spielerisch mit Beute- und Spieltrieb aufgebaut wird. Eine Frage, die sich dabei aufdrängt ist: warum behaupten dann alle Verfechter von Schutzdienst, daß die Hunde nur durch absolute Unterordnung kontrollierbar würden? Sind Hunde, die ganz ohne „Unterordnung“ und Schutzdienst aufwachsen, denn eine Gefahr für die Menschheit? Und wer oder was soll eigentlich geschützt werden? Der Hund vor sich selber? Oder – wenn man das Schutzdienstritual betrachtet – der Hundeführer? Lebt der denn mitten im friedlichen Deutschland in so bedrohten Verhältnissen, daß er dringend eine lebende Waffe benötigt? Wozu dienen bei einem Sport Ansagen wie: Bleiben Sie stehen oder ich schicke den Hund? Was ist das für ein Sport, bei dem mein menschliches Gegenüber einen Feind darstellt, den mein Hund auf mein Kommando massiv beißen darf? Ein Hund, der aus dem Ärmel fällt, weil er sich nicht genug verbissen hat, oder sich durch die – natürlich ganz harmlosen – Schläge mit dem Stock beeindrucken läßt, bekommt Punktabzug. Der Hund, nicht der Mensch, der den armem Kerl in diese Situation treibt.

Selbst wenn man der Meinung ist, daß diese Art von Sport eine harmlose Beschäftigung für Hunde ist, sollte man sich doch fragen, ob es ethisch vertretbar ist, ein intelligentes, denkendes und fühlendes Lebenwesen, das das Tribut „bester Freund des Menschen“ trägt, zu einem Sportgerät herabzuwürdigen. Noch dazu werden ihm Handlung zugemutet, die bei jedem normalen Familienhund unweigerlich den Amtstierarzt und die Polizei auf den Plan rufen. Oder was denken Sie, was passiert, wenn Sie Ihren Hund mit den Worten: „Bleiben Sie stehen oder ich schicke den Hund!“ auf Ihren Nachbarn hetzen würden?

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Cesar Millan meint’s nicht so! Oder doch?

In diesem Video:

wird ein Interview gezeigt, bei dem Cesar Millan – endlich! – öffentlich Gegenwind bekommt. Der britische Moderator Alan Titchmarsh hat ihn damit konfrontiert, daß seine Methoden nicht nur vollkommen überholt, brutal und sinnlos sind, sondern daß viele Menschen, darunter auch viele Wissenschaftler solche Methoden ablehnen. Cesar Millan versteht ganz offensichtlich nicht, wovon Alan Titchmarsh spricht: brutale Schläge in die Kehle nennt er „Berührungen, um den Hund aufzuwecken“, jedes Mittel ist ihm recht, um die Wünsche seiner Kunden durchzusetzen, er demonstriert ganz hervorragend, daß er im Umgang mit Hunden nur wenig Möglichkeiten zur Verfügung hat: Brutalität, Dominanz, Durchsetzen, Kontrollieren, egal mit welchen Methoden. Und irgendwie meint er’s nicht böse. Oder doch?

Kontrolle immer und überall, Durchsetzen meiner Interessen mit welchen Mitteln auch immer, jedes Mittel anwenden, das mir zur Verfügung steht, das steht im krassen Gegensatz zu dem, was die meisten Menschen möchten, wenn sie sich einen Hund ins Haus holen. Sie möchten einen Freund, keinen Sklaven oder hörigen Knecht.

Ganz abgesehen davon: viele der Methoden, die Cesar Millan empfiehlt, sind verboten.

Hier: Canisund-Blog kann jeder nachlesen, was das Tierschutzgesetz zur Anwendung von Starkzwangmitteln wie Stachelhalsband oder Stromreizgeräten sagt. Zu Stromreizgeräten gibt es ein Urteil vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig, Der Einsatz dieser Geräte ist verboten für alle und jedermann: Trainer, Jäger, Polizisten, Tierärzte,….. egal, niemand hat in Deutschland das Recht, einen Hund damit zu quälen. Wer es einsetzt, macht sich strafbar. Was Cesar Millan in seinen Filmen und Büchern macht, wenn er diese Geräte anpreist, ist de facto die Aufforderung zu einer Straftat. Selbst wenn er nicht so genau weiß, was er tut – was ja nicht unbedingt für die Qualität seiner Arbeit spricht -, sollte man sich schon gut überlegen, ob man sich strafbar machen möchte, nur weil einem nichts anderes für die „Erziehung“ seines Hundes einfällt. Es gibt genügend Trainer in Deutschland, die zeigen, daß es anders geht und daß respektvoller Umgang mit Hunden anders aussieht. Und die meinen’s so, ganz sicher!

Das Interview können auch Menschen ansehen, die kein oder zu wenig Englisch verstehen, denn es ist mit einer korrekten Übersetzung versehen.

Meinen innigen Dank an Alan Titchmarsh für dieses Interview! Hoffentlich sehen es viele Menschen.

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Wenn’s ihm doch so gefällt…!

Immer wieder kommen Welpen- oder Junghundbesitzer ins Training und erzählen von Freunden, Nachbarn, Bekannten oder auch Familienmitgliedern, die so wild mit dem Hund spielen, daß er hinterher ganz durch den Wind ist. Beispiele: Nachbarskinder holen den Hund ab, um mit ihm auf der Straße mindestens eine Stunde Fussball zu spielen. Auf einer Geburtstagsparty geht einer der Gäste in den Garten und spielt extrem derb mit dem 5 Monate alten Rüden, so daß der Rüde sich in einen Zottel verbeißt und daran hochgezogen wird. Ein Besucher hört nicht auf für einen Junghund den Ball zu werfen, auch die mehrmaligen Bitten der Besitzer, endlich aufzuhören, bringen nichts. Argument in allen Fällen: wenn’s ihm doch gefällt? Er hört doch selber nicht auf!

Vielfach trauen sich die Hundebesitzer nicht energisch genug einzugreifen, denn man möchte es sich mit den Nachbarn, Freunden und Verwandten nicht verderben, selbst wenn man weiß, daß diese Art von „Spiel“ sehr negative Folgen hat. Es lohnt sich, diese Folgen etwas genauer zu betrachten.

Jagd- und Kampfspiele sind bei jungen Hunden zunächst nichts ungewöhnliches und es spricht nichts gegen solche Spiele, wenn sie unter vernünftigen Bedingungen stattfinden. Vernünftige Bedingungen sind dann gegeben, wenn der Hund am Ende nicht völlig durch den Wind ist, sich nicht wie ein Verrückter beim nächsten Mal ins Spiel stürzt, wenn der menschliche Spielpartner die Signale des Hundes richtig deuten kann, wenn das Spiel ruhig und freundlich endet und jeder mal gewinnt, nicht immer nur der Mensch. Doch oft handelt es sich weniger um Spiel von Seiten des Hundes als um Abwehr. Gerade junge Hunde sind meistens schüchtern, wenn man ihnen anbietet in einen Zottel zu beißen, den man selber in der Hand hält. Der Grund dafür ist einfach: seine Zähne sind seine schärfste Waffe und wir bringen ihm bei, vorsichtig damit umzugehen, d.h. wir bauen mit ihm eine Beißhemmung auf. Denn niemand findet es lustig, wenn Bello bei jeder Gelegenheit grob zuhackt. Wenn jetzt die empfindliche Menschenhand sehr nahe am Hundemaul ist, besteht aus Bellos Sicht die Möglichkeit, daß es Ärger gibt. Deshalb lassen viele Hunde das lieber bleiben. Wenn man es richtig macht, kann man einen Hund selbstverständlich zu einem freundlichen Zerrspiel auffordern, aber wenn er es partout nicht möchte, kann man auch drauf verzichten. Mensch muß sich nicht immer durchsetzen! Weil aber viele Menschen denken, ein Hund müsse immer und überall und jederzeit einfach alles machen, was irgendjemand von ihm möchte, wird Bello so lange mit dem Zottel bedrängt, bis er reinbeißt, in der Hoffnung, daß dann Ruhe ist. Ist aber keine Ruhe, jetzt gehts erst richtig los. Da wird gezerrt und gezogen, was das Zeug hält, der kleine Kerl hat körperlich überhaupt keine Chance, den überlegenen Menschen los zu werden und verbeißt sich immer fester und wird immer wilder, da er sich Auf-Teufel-komm-raus gegen den übermächtigen Menschen wehren muß. Zu allem Überfluss wird er am Zottel hochgezogen und der Mensch freut sich tierisch, daß der Kleine so schön dranhängt! Was haben wir aber auch für einen Spaß! Daß der Hund extrem unter Stress steht, vollkommen hilflos und überfordert ist, entgeht dieser Art von Hundeexperten grundsätzlich. Denn unter Hunden ist es nicht normal, einen körperlich und mental Unterlegenen so extrem zum Kampfspiel herauszufordern, daß der sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als sich extrem zu verbeißen.

Erwachsene Hunde, die sich mit Welpen oder Junghunden auf ein Spiel einlassen, gehen sehr vorsichtig und behutsam mit ihnen um. Sie werden nie einen Kleinen bedrängen bis er völlig außer sich gerät und so zubeißt, wie er es mit dem Zottel macht, denn das würde bedeuten, daß er sich in dem anderen Hund verbeißt. Und wer kann das wollen? Richtig miteinander spielen bedeutet auch, den anderen realistisch einzuschätzen, ihn nicht zu überfordern und aufzuhören, lange bevor es zuviel wird. Deshalb dauern Spiele unter Hunden in der Regel nicht besonders lange. Gerade Jagdspiele – einer rennt davon, die anderen versuchen ihn zu fangen – enden sehr schnell, indem die „Beute“ unvermittelt stehen bleibt und sich umdreht, damit die anderen nicht auf die dumme Idee kommen, ihn doch für einen Hasen zu halten. Kampfspiele gibt es in der Regel nur bei jungen Hunden, die sich sehr gut kennen, sie sind immer nur ganz kurz und enden meistens mit viel Beschwichtigung, damit jeder auch weiß, wie es gemeint war. Ein Kampfspiel, das so endet, daß einer der beiden in völliger Panik verbissen an einem Stock hochgezogen wird, kommt im Hundespielrepertoire nicht vor. Denn eine vergleichbar aggressive Aktion könnte ganz schnell in einer ernsthaften Auseinandersetzung enden. Die Regeln für ein Spiel unter Hunden legt also der Schwächere fest, nicht der Überlegene.

Wie endet denn ein solches „Spiel“ mit einem menschlichen Partner? Selten freundlich. Denn so ein Hund ist so aufgeputscht, daß er nicht mehr aufhören kann. Also wird er unfreundlich angebrüllt: Schluß jetzt! Aus! Und wenn er das nicht kapiert, wird er womöglich noch unsanft runtergedrückt, bis er aufgibt. Kann mal einer erklären, was daran „Spiel“ sein soll?
Denn was lernt der Kleine bei diesen „Spielen“? Zuerst werde ich grob angemacht, dann muß ich mich grob wehren und dann werde ich grob angebrüllt und vielleicht sogar noch grob auf den Boden gedrückt. Ein bißchen viel „grob“, vielleicht zuviel für ein „Spiel“, finden Sie nicht?

Dauerhaftes Ballwerfen und stundenlanges Fussballspielen ist nicht viel besser, aber dazu ein andermal mehr.

Sollte also wieder mal jemand Ihren Hund zu einem maßlosen Kampfspiel „auffordern“ und das auch noch damit rechtfertigen, daß Bello das ja schließlich gefällt, sonst würde er nicht so toll mitmachen, dann gehen Sie bitte dazwischen und helfen Sie Ihrem Hund. Sie helfen damit auch sich selber, denn Ihr Hund lernt erst gar nicht, daß zubeißen und spielen zusammengehören und er bleibt auch klar im Kopf.

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Ich zahl doch nicht das Wasser im Futter!

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß Industriefutter nicht wirklich das Gelbe vom Ei ist. Die Gründe, die angeblich für die Fütterung von Trockenfutter sprechen, sind teilweise ziemlich irrational und ich wundere mich immer wieder, warum die Leute darauf hereinfallen.

Gut, ich sehe ja ein, daß wir alle sparen müssen. Aber manch einer übertreibt es einfach. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie gehen zu Ihrem Hausarzt, weil Sie sich den Magen verdorben haben. Der untersucht Sie und stellt Ihnen irgendwann die Frage, was Sie denn im allgemeinen so essen. Sie antworten wahrheitsgemäß, daß es immer frisches Obst und Gemüse gibt, daß Sie versuchen Fleisch und Wurst beim Erzeuger zu beziehen, überhaupt achten Sie darauf, Sie Ihre Lebensmittel aus der Region, am besten vom Biobauern beziehen. Ganz stolz sind Sie auf sich. Und was macht Ihr Doktor? Der schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und sagt: Ja, das ist kein Wunder, daß Sie einen verdorbenen Magen haben. Und wie können Sie überhaupt dieses frische Zeug essen? Stellen Sie sich doch nur mal vor, was allein Sie für das Wasser in den Lebensmitteln bezahlen?
Sie lachen? Ob Sie es glauben oder nicht: genau solche Argumente habe ich nicht nur von Kunden gehört, sondern auch und vor allem von Tierärzten.
Mag sein, daß es in sehr trockenen Regionen dieser Erde irgendein Tier oder eine Pflanze gibt, die weniger als 70 % Feuchtigkeit enthalten. Vorstellen kann ich es mir nicht, denn wir alle bestehen hauptsächlich aus Wasser. Wasser ist – große Überraschung – eine der wichtigsten Grundlagen, daß Leben überhaupt existieren kann. Wenn Sie nicht mindestens 2 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, werden Sie krank. Sie würden Ihrem Arzt also was husten, von wegen nur noch trockenes Zeug essen. Aber Ihrem Hund muten Sie das zu, damit Sie sparen können. Ist doch nicht Ihr Ernst, oder?
Was passiert denn, wenn dieses „überflüssige“ Wasser aus der Nahrung entfernt wird? Legen wir das Fleisch und Gemüse schön säuberlich auf den warmen Dachboden und warten, bis es durchgetrocknet ist? Oder hängen wir alles mit Klammern an die Wäscheleine in die Sonne, so früher den Stockfisch? Das glaubt ja wohl niemand ernsthaft.
Zuerst muß man also das Wasser aufwendig entziehen. Dann muß der Hund mehr trinken oder Sie weichen das Futter ein, um das auszugleichen. War’s schon nix mehr mit Sparen: einmal zahlen Sie die Bearbeitung und dann das Wasser, das Ihr Hund zusätzlich braucht. Dann wird Ihr Hund krank, weil er doch zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, und dann gehen Sie zu dem Tierarzt, der Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat und bezahlen eine teure Behandlung, z.B. wegen Nierenproblemen. Genug gespart?

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Abbruchsignale – notwenig oder überflüssig?

In vielen Hundebüchern lesen Sie, daß jeder Hund, sobald er Mitglied der menschlichen Gemeinschaft wird, sofort und unverzüglich ein Abbruchsignal lernen muß. Auch viele Hundetrainer behaupten das. Die Argumentation hört sich an, als ginge die Welt unter, wenn Ihr Hund das nicht schon als Welpe beherrscht. Die Frage ist allerdings: wozu ist ein Abbruchsignal gut , wann braucht man es und wie baut man es auf? Und: ist es wirklich das Wichtigste, was ein Hund lernen muß?

Für Welpen ist ein Abbruchsignal ganz sicher nicht erste Priorität. Ein Welpe muß die Welt erkunden und es ist wahrlich eine Todsünde, wenn ich ihm alles verbiete, was ihn interessiert. Das bewirkt u.U. folgendes:
Er traut sich nichts mehr, wird unsicher und ängstlich
oder
er denkt sich: wenn sowieso schon alles verboten ist, ist es auch egal. Und macht was er will.
Für Welpen sollte man sich also etwas anderes ausdenken. Man sollte einen Welpen z.B. nicht ohne Aufsicht lassen, damit man sofort eingreifen kann, wenn der Kleine gefährliche Ideen hat, etwa an der Bügeleisenschnur zu zupfen. Dann ist es aber besser, ihn nicht in die Nähe des Bügeleisens zu bringen, als „pfui ist das“ zu brüllen. Sie müssen also Ihre Wohnung welpensicher machen: Kabel verräumen, Blumentöpfe höher stellen, Kissen in unerreichbaren Regionen verstauen und aufpassen, aufpassen, aufpassen. Und schon sind Abbruchsignale bei Welpen überflüssig.

Trotzdem sollte ein Hund Signale kennen, die ihm verdeutlichen: hör auf mit dem, was du gerade machst, und zwar sofort. Wenn Sie jetzt immer nur ein Wort für alles benützen, z.B. „pfui“, „nein“, „aus“, dann müssen Sie versuchen, jedesmal, wenn Ihr Hund – nach Ihrer Meinung – etwas falsch macht, entsprechend schärfer oder weniger scharf zu klingen. Denn es kann ja nicht sein, daß Sie ihn wegen der geringsten Kleinigkeit immer gleich andonnern. Das dürfte aber nicht so einfach sein, denn einsilbige Wörter wie „aus“ oder „pfui“, die noch dazu für uns negativ belegt sind, wird man immer eher scharf und laut sagen. Egal, was Ihr Hund also macht, er wird immer in Grund und Boden gedonnert.

Dazu kommt, daß es für Ihren Hund teilweise schwer ist zu verstehen, was Sie wollen. Sanftere Gemüter entscheiden sich beim Abbruchsignal oft für das Wort „nein“, eben weil es nicht so hart ist. Aber überlegen Sie doch mal. Bei jeder Gelegenheit ist alles „nein“: nein, zieh nicht an der Leine, nein, nimm nicht den Dreck auf, nein, bell jetz nicht….. Dazu wird es richtig weich gezogen „neeeiiiin“, so daß es sich eher wie ein Lob anhört: das hast du feeeiiin gemacht. Und das soll er verstehen? Zum einen wäre es wesentlich besser, wenn Sie ihm ein Verhalten nicht einfach verbieten, sondern ihm eine Alternative anbieten: also: geh locker an der Leine, geh an dem Dreck vorbei, mach dich leise bemerkbar. Dadurch warten Sie nicht, bis er einen Fehler macht, sondern zeigen ihm, wie es für alle Beteiligten gut ist. Zum anderen sagen Sie 1.000mal am Tag „nein“: nein, was soll das denn wieder! Nein danke, ich habe keinen Hunger….. Und Ihr Hund soll jedes Mal wissen, ob er gemeint ist?

Man braucht aber manchmal eine Ansage, aus der ein Hund schließen kann, daß er jetzt sofort und auf der Stelle sein Tun beenden soll. Jetzt, nicht erst in einer halben Stunde. Dazu sollten Sie 4-5 Ansagen ausdenken, die Ihnen leicht von den Lippen gehen und bei denen Sie ein bestimmtes Bild im Kopf haben. Allerdings sollten auch dann nicht ständig alles verbieten. Wenn Ihr Hund an den Hinterlassenschaften eines anderen Hundes schnuppert, finden Sie das vielleicht eklig, Ihr Hund aber nicht. Deshalb wird er gar nicht verstehen, warum das „pfui“ sein soll. Aber wenn er gerade einen Kumpel aus der Hundegruppe nervt, und Sie sagen laut und unfreundlich, in angemessener Lautstärke: „Laß das!“ oder „Benimm dich“ dann ist ihm schon klar, was Sie meinen. Und er wird damit aufhören. Wenn er allerdings erst drüber nachdenkt und Sie ihn mit einem „denk erst nach“ dazu bringen, gar nicht erst anzufangen mit diesem Unfug, ist es natürlich noch besser.

Ein Hund, der gar nicht aufhört zu nerven, reagiert auf „aus“ evtl. mit noch mehr Generve, denn daß er nervt hat einen Grund, z.B. Sie übersehen ihn immer, wenn er sich ruhig nähert oder er ist aufgrund Ihrer überzogenen Aktivitäten überdreht. Wenn Sie das ausschließen können, dann sollte ein unfreundliches „es reicht jetzt“ ausreichend sein. In Hundegruppen kann es manchmal zu etwas derben Situationen kommen, bei denen es einfach ein bißchen zu heftig zur Sache geht. Da kann es sinnvoll sein, mit einem lauten Schrei „hey!!“ dazwischen zu funken, damit die Sache nicht eskaliert. Allerdings sollten Sie auch hier überlegen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Hunde rechtzeitig anzuleinen.

Wenn Ihr Hund gerne mal an den Zaun startet und nur durch eine scharfes „ab“ dazu zu bringen ist, sich zu entfernen, ist das im Moment sicher eine gute Lösung. Zumindest ist es besser als eine Diskussion mit dem Briefträger wegen zerrissener Hosen. Aber die noch bessere Lösung ist es, wenn Ihre Pelznase gelernt hat, den Briefträger zu melden, sich bei Ihrem Näherkommen auf einen Platz zurückzuziehen, von dem aus er beobachten kann, daß alles in Ordnung ist. Dann hat er nicht nur eine Aufgabe erfüllt, die sinnvoll ist, sondern auch verstanden, was er tun soll.

Sollen Sie Ihren Hund also besser keine Abbruchsignale beibringen? Geht alles auch anders? Nein, so einfach ist es nicht. Es kann sehr sinnvoll sein, wenn Sie die Aktionen Ihres Hundes nachhaltig und sofort unterbrechen können. Aber wenn Sie in erster Linie versuchen, freundliche Lösungen zu finden, vorausschauend zu arbeiten, also ihn gar nicht erst in schwierige Situationen kommen lassen, weil Sie ihn vorher umlenken, anleinen oder klare Vorgaben geben, dann begrenzen Sie die Anzahl der Abbruchsignale auf ein absolutes Minimum und Sie werden erkennen, daß es überhaupt nicht notwendig ist, den Hund Fehler machen zu lassen. Das ist förderlich für Ihre Beziehung und läßt in Ihrer Pelznase das Vertrauen zu Ihnen wachsen, daß Sie sich gut um ihn kümmern.

Und wie baut man ein vernünftiges Abbruchsignal auf? Viele Trainer arbeiten hier über Frustration. Wenn das sauber gemacht wird und der Hund nicht in der Frustration hängen bleibt, ist das in Ordnung. Allerdings möchte ich das hier nicht erklären, lassen Sie sich das bitte zeigen, sonst geht leicht etwas schief. Die andere Variante ist: learning by doing. Das heißt: wenn sich die Situation ergibt, z.B. macht sich Ihr Liebling gerade auf den Weg um die Leberwurst auf dem Tisch zu klauen, dann können Sie ihn mit einem „benimm dich“ mit leicht erhobener Stimme darauf aufmerksam machen, daß Sie das durchaus im Blick haben und nicht wünschen. Sobald er sich von der Leberwurst entfernt, die bitte schön sicher auf dem Tisch liegt und nicht in unmittelbarer Nähe vor seiner Nase, dann loben Sie ihn. Geben Sie ihm dafür aber kein Leckerchen. Sonst treten Sie ein Handlungskette los, die nicht erwünscht ist: ich mache was Verbotenes, werde ermahnt, dann lasse ich das sein und bekomme ein Leckerchen. Ein kurzes, freundliches Lob reicht. Allerdings finde ich es nur begrenzt vertretbar, solche Situationen zu provozieren. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, Wurst und Käse unbeaufsichtigt herumliegen zu lassen.

Bedenken Sie bei Ihren unterschiedlichen Signalen, daß Sie steigerungsfähig bleiben müssen: sowohl die Lautstärke, als auch die Deutlichkeit der Ansage sollten Sie variieren können. Damit machen Sie Ihrem Freund viel besser klar, wie dramatisch – oder auch nicht – die jeweilige Situation gerade ist.

Alles in allem sollten Sie schon darauf achten, ihn nicht ständig zu reglementieren, auch mal fünf gerade sein zu lassen und nicht überall Gefahren und Fallen zu sehen. Nicht jedes Stück Hundekacke macht ihn krank, nicht jedes Leberwurstbrötchen, das er findet, ist vergiftet, nicht alles, was er tut, ist gefährlich. Entspannter Umgang macht es auch leichter möglich zu entscheiden, wann ein Abbruchsignal angesagt ist und wann nicht.

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