Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 2/2012 von Canisund veröffentlicht.
Wenn Ihr Auto die Straße entlang fährt, wer tut dann etwas? Sie oder das Auto? Schimpfen Sie manchmal beim Tanken, daß der Motor Ihres Wagens zu viel säuft? Bringt es was, wenn Sie mit ihm eine Entziehungskur machen wie bei einem Alkoholiker? Wäre es möglich, daß das Auto ganz ohne Sie einfach so startet und losfährt? Mag sein, daß das irgendwann der Fall sein wird, aber irgendjemand wird doch sicher etwas programmieren oder auf ein Knöpfchen drücken müssen. Hat Ihr Auto einen Namen? Ja? Dann haben wir etwas gemeinsam, unsere Autos werden auch alle getauft.
Was hat das mit Hunden im Schutzdienst zu tun? Ganz einfach: wenn Sie einmal genau zuhören, wie über diese Hunde geredet wird, dann fragt man sich, warum einem Auto individuelle Eigenschaften zugestanden werden, ein Hund aber „gearbeitet, hingesetzt, abgelegt oder im Schutzdienst geführt“ wird. Als wäre er eine Maschine, die man programmieren und bedienen kann. Je nachdem, was man gerade von der Maschine möchte. Wenn der Motor nicht so viel verbrauchen soll, gibt man weniger Gas. Der Hund, der gut im Schutzdienst gearbeitet wird, ist dann eben auch friedlich, in Gegensatz zu dem, der nicht gearbeitet wird. Glauben Sie das wirklich?
Hunde sind die Tiere, die in ihrem Sozialverhalten uns Menschen am ähnlichsten sind. Sie verlaufen in ihrer Kindheit und Jugend ähnliche Phasen wie wir: vom hilflosen Säugling über den renitenten, pubertierenden Jugendlichen bis zum gesetzten Erwachsenen können wir jederzeit viele Parallelen ziehen. Uns allen ist klar, daß Kinder, die mit viel Gewalt und Dressur erzogen werden, die man „abrichtet“, kaum selbständige und selbstbewußte Menschen werden, die in schwierigen Situationen eigenständig sozialverträgliche Lösungen finden. Und Hunde? Ist das bei denen anders? Schließlich hat man des meiste über Lernverhalten bei Experimenten mit Hunden herausgefunden. Und ohne große Bedenken wendet man diese Erkenntnisse auf Menschen an.
Allein schon die Terminologie im Schutzdienst, oder VPG wie es neuerdings heißt, ist sehr entlarvend. Dem Hund wird jede Selbständigkeit abgesprochen, von ihm ist die Rede wie von einem Gegenstand, mit dem eben etwas gemacht wird. Und das entspricht genau der Realität. Als hochsoziale Lebewesen ist es für Hunde durchaus nicht nachvollziehbar, warum sie sich in einen möglichen Sozialpartner, nämlich einen Menschen, so massiv verbeißen sollen, daß sie ihn ernsthaft beschädigen könnten – wäre nicht der Schutzanzug dazwischen. So wie wir sehr genau wissen, daß wir mit unseren Händen andere zärtlich berühren aber eben auch schwer verletzen können, so wissen Hunde, daß ihre Zähne Waffen sind, die man sehr behutsam einsetzen muß, so man ein geachtetes Mitglied der Gemeinschaft bleiben möchte. Dazu ist die Beißhemmung gut, die wir beim Welpen grundsätzlich fördern und trainieren.
Hunde im Schutzdienst, mit denen ihre Hundeführer auf Prüfungen Erfolg haben möchten, müssen deshalb immer mit Gewalt dazu gebracht werden, eine notwendige und von uns geförderte Grenze zu überschreiten: schlage deine Waffen in das menschliche Gegenüber.
Es wird immer behauptet, daß alles, was die Hunde hier lernen, nur zu ihrem Besten ist und rein spielerisch mit Beute- und Spieltrieb aufgebaut wird. Eine Frage, die sich dabei aufdrängt ist: warum behaupten dann alle Verfechter von Schutzdienst, daß die Hunde nur durch absolute Unterordnung kontrollierbar würden? Sind Hunde, die ganz ohne „Unterordnung“ und Schutzdienst aufwachsen, denn eine Gefahr für die Menschheit? Und wer oder was soll eigentlich geschützt werden? Der Hund vor sich selber? Oder – wenn man das Schutzdienstritual betrachtet – der Hundeführer? Lebt der denn mitten im friedlichen Deutschland in so bedrohten Verhältnissen, daß er dringend eine lebende Waffe benötigt? Wozu dienen bei einem Sport Ansagen wie: Bleiben Sie stehen oder ich schicke den Hund? Was ist das für ein Sport, bei dem mein menschliches Gegenüber einen Feind darstellt, den mein Hund auf mein Kommando massiv beißen darf? Ein Hund, der aus dem Ärmel fällt, weil er sich nicht genug verbissen hat, oder sich durch die – natürlich ganz harmlosen – Schläge mit dem Stock beeindrucken läßt, bekommt Punktabzug. Der Hund, nicht der Mensch, der den armem Kerl in diese Situation treibt.
Selbst wenn man der Meinung ist, daß diese Art von Sport eine harmlose Beschäftigung für Hunde ist, sollte man sich doch fragen, ob es ethisch vertretbar ist, ein intelligentes, denkendes und fühlendes Lebenwesen, das das Tribut „bester Freund des Menschen“ trägt, zu einem Sportgerät herabzuwürdigen. Noch dazu werden ihm Handlung zugemutet, die bei jedem normalen Familienhund unweigerlich den Amtstierarzt und die Polizei auf den Plan rufen. Oder was denken Sie, was passiert, wenn Sie Ihren Hund mit den Worten: „Bleiben Sie stehen oder ich schicke den Hund!“ auf Ihren Nachbarn hetzen würden?