Artikel von Sophie Strodtbeck WUFF 05/2014
Sehr geehrte Frau Strodtbeck,
in Ihrem Artikel „In Zweifel für den Hund – Mensch-Hund-Beziehung Lebenslänglich?“ in der Ausgabe 05/2014 der Zeitschrift WUFF erklären Sie sehr nachvollziehbar, daß es durchaus Situationen im Leben eines Menschen gibt, in denen er sich für die Abgabe eines Hundes entscheiden muß. Diese Entscheidung fällt einem natürlich extrem schwer, so man seinen Hund liebt und an ihm hängt, trotzdem kann sie durchaus im Sinne des Hundes sein. Soweit stimme ich mit Ihnen vollkommen überein.
Wäre da nicht diese Aussage im letzten Absatz des Artikels, die alles andere, was Sie vorab zu dem Thema schreiben, nicht nur entwertet, sondern auch darüber hinaus denen, die Hunde mal so eben abschieben, wunderbare Argumente in die Hand gibt. Die Kernstelle lautet: “ Hunde sind Opportunisten. Solange auch anderswo das Entertainmentprogramm stimmt, der Napf gefüllt ist und sich ein Mensch um die Bedürfnisse kümmert, leben sich die meisten Hunde sehr schnell ein ……….. Die größeren Probleme hat in der Regel der Mensch.“ Ach, wirklich?
Wenn das so ist, dann ist das ja wirklich praktisch. Dann müssen wir uns ja keine Sorgen mehr machen, wenn so ein Fall eintritt. Ja, wir alle können in diese Situation kommen und nicht immer ist es möglich, so vorzusorgen, daß für den Hund alles so optimal wie nur möglich weiterläuft. Aber diese Aussage bestätigt vor allem: entweder haben Sie keine Ahnung, wovon Sie sprechen – und wozu Sie sich ausführlich in einer Hundezeitschrift als „Expertin“ äußern – oder es ist Ihnen vollkommen egal. Denn wenn das wahr ist, was Sie behaupten, dann erklären Sie doch einmal, warum man folgende Maßnahmen beachten muß, so man einen Hund aus 2. Hand übernimmt: die ersten Wochen sollte man den Hund nicht von der Leine lassen, man sollte gut darauf achten, daß er genügend Zeit bekommt, sich in Ruhe an sein neues Zuhause und (!) die neuen Menschen zu gewöhnen, bei vielen Hunden trifft man sogar die Vorsichtsmaßnahme, daß sie permanent die ersten Wochen eine Leine am Brustgeschirr / Halsband befestigt haben, damit man sie gar nicht erst anfassen muß. Warum hört man dann so häufig von Hunden, die nicht fressen wollen, vor allem Angst haben, obwohl sie bislang definitiv nicht ängstlich waren? Warum fangen gerade solche Hunde sehr häufig an, ihre neue Bezugsperson extrem zu bewachen? Weil das Entertainmentprogramm nicht stimmt? Oder vielleicht eher, weil sie Angst davor haben, daß sich die Sache wiederholt? Warum ist es nicht ratsam, die „alten“ Besitzer auf Besuch kommen zu lassen? Schon mal was davon gehört, daß das für die Hunde ein großes Problem werden kann? Wenn das alles so easy ist, warum leiden dann gerade Hunde aus 2. Hand so häufig an Trennungsangst? Weil der Napf nicht voll genug ist?
Meine Freundin bekam vor einigen Jahren eine kleine Hündin von einer alten Dame, die ihren Liebling aus gesundheitlichen Gründen abgab. Ich kann Ihnen versichern, daß sich die äußeren Umstände dieser Hündin extrem verbesserten. Aus einer 2-Zimmer-Wohnung im 3. Stock in der Großstadt kam sie auf ein ca. 2 Hektar (20.000 Quadratmeter) großes Grundstück mit Wald und Wiese, mit Buddelgelegenheiten und einer Tür, die den ganzen Tag nach draußen offenstand. Aus 3 kleinen Runden um den Block wurden zwei: eine kleine Morgenrunde und eine ausführliche von mindestens einer Stunde. Aus Fertigfutter aus dem Sack wurde Frischfleisch. Aus hundlichen Zufallsbekanntschaften an der Leine wurden freundliche Hundegefährten im Haus….. Trotzdem war diese kleine Maus über Monate hinweg sehr unglücklich. Über drei Monate lang kam sie jeden Abend ins Bett und wickelte sich mit affenartiger Geschwindigkeit in die Bettdecke ein, egal wie warm es draußen war, so daß meine Freundin dachte, sie müßte da eigentlich mal ersticken. So niedlich das ausgesehen haben mag: es war eine reine Verzweiflungstat, die kleine Hündin wollte nichts mehr hören und sehen. Noch wochenlang sah sie immer wieder an der Stelle nach, wo ihr Frauchen verschwunden war, in ihrer Verzweiflung begann sie Holz zu fressen, wenn Frauchen wieder nicht kam, um sie abzuholen. Vielleicht verdeutlicht folgende Rechnung, was hier vor sich ging: das panische Einwickeln in die Decke dauerte 3 Monate. Geht man davon aus, daß ein Hund ca. 12, ein Mensch aber 84 Jahre alt wird, bedeutet das hochgerechnet auf die Lebenserwartungeines Menschen, daß ein Mensch 1 Jahr und 9 Monate extrem trauern müßte. Was meinen Sie, Frau Strodtbeck? Ist das realistisch, daß Menschen so lange und so intensiv um einen geliebten Partner trauern? Jeder von uns hat schon mal so einen Verlust erlebt, aber ich kenne niemanden – mich eingeschlossen -, der zu einer so extremen Trauer in der Lage war.
Solche Geschichten kann ich Ihnen im Dutzend erzählen, denn ich arbeite seit über zehn Jahren als Trainerin und erlebe solche Dinge immer und immer wieder. Was bitte schön sollen denn Hunde Ihrer Ansicht nach machen, damit Blinde wie Sie erkennen können, daß sie leiden? Einen Antrag auf Psychotherapie stellen? Oder tun sie das nur nicht, weil sie ja Opportunisten sind? Was soll so ein Hund denn machen, er wird ja gar nicht gefragt, ob er mit der Entscheidung einverstanden ist. Oder kennen Sie ein Beispiel, wo ein Hund gefragt und dann nach seinen Vorstellungen entschieden wurde? Was bedeutet das denn, daß Hunde „Opportunisten“ sind? Daß ihnen sowieso alles egal ist, Hauptsache der Napf ist voll? Strecken Sie sich nicht nach der Decke, wenn Umstände eintreten, die Sie definitiv nicht beeinflussen können? Ja, tun Sie das? Dann sind Sie eine Opportunistin und das ist nicht gerade ein Kompliment für Sie. Schon mal von der Seite betrachtet?
Für den Fall, daß Sie mir nicht glauben, daß es so einfach auch wieder nicht ist, sollten Sie sich mal mit neuen, neurophysiologischen Erkenntnissen befassen, die schlicht und ergreifend beweisen, daß Hunde – und nicht nur sie – die gleichen Gefühle wie Menschen haben. Sonst wäre es auch kaum möglich, mit Hunden in so inniger Gemeinschaft zusammen zu leben, wie wir das tun. Dann könnten wir nicht erwarten, daß Hunde eine Bindung aufbauen, daß sie uns lieben und uns treu sind, daß sie mit uns fühlen, wenn es uns schlecht geht, und mit uns glücklich sind in guten Zeiten. Einen entscheidenden Unterschied zwischen Hunden und Menschen gibt es allerdings: Hunde denken nicht, sie seien die Krone der Schöpfung und hätten die Rechte an Gefühlen gepachtet, die sie anderen nicht zugestehen.
Ihre Aussage kommt mir vor, wie das, was man von strafenden Eltern gerne hört: mir tut das viel mehr wert wie dir, und wenn ich dich jetzt schlagen muß, ist das für mich viel schlimmer. Nee, iss klar, die Schmerzen, die ich nicht spüre, können nicht vorhanden sein. Total logisch. Und mit Gefühlen ist das ganz genauso.
Wenn Sie, Frau Strodtbeck, Ihre derzeit unerfreuliche Situation öffentlich in der WUFF bewältigen müssen, ist das Ihre Sache. Man muß das nicht lesen, wenn man das nicht möchte. Aber wenn Sie das tun, entbindet Sie das nicht von der Verantwortung, daran zu denken, welche Folgen Ihre Aussagen haben können. Was meinen Sie, wieviele Menschen Ihren Artikel dazu benützen werden, um Hunde abzuschieben? Schließlich sagen Sie ja ganz klar, daß das den Hunden in der Regel gar nicht so viel ausmacht. Wie war das doch gleich mit den Allergien gegen Hundehaare, die erstaunlicherweise immer dann auftauchen, wenn es Probleme mit den pubertierenden Hunden gibt? Ebenso kann jetzt jemand auch rechtfertigen, daß er seinen Hund in Zwingerhaltung abgibt, es muß eben nur gewährleistet sein, was Sie in Ihrem Artikel so schön ausgeführt haben, oder?
Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich diesen Brief schreiben soll. Aber da ich aktuell wieder viel mit Hunden zu tun habe, die abgeben wurden, wollte ich diese Aussage nicht einfach unwidersprochen hinnehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Ute Rott
Hundetrainerin / Verhaltenstherapeutin
Mitglied im Fachkreis Gewaltfreies Hundetraining
Hundeschule Forsthaus Metzelthin
Metzelthin 22
17268 Templin
www.forsthaus-metzelthin.de
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