Wer trifft hier die Entscheidungen – und warum?

Vor ein paar Tagen hatte ich lieben Besuch aus Berlin – eine Kundin, die einmal jährlich mit einer Freundin und ihren beiden Hunden bei mir Urlaub mit Training bucht. Die Kundin ist zur Zeit dabei, eine TrainerInnenausbildung zu machen und hatte einige Fragen an mich. Eine davon war: wer trifft eigentlich die täglichen Entscheidungen im Leben mit Hunden? Also: wo gehen wir spazieren, wo läuft der Hund (vor mir, hinter mir, neben mir) wen begrüßen wir, wen nicht, wer geht als erster aus der Tür…. solche Entscheidungen eben, die ganz automatisch anfallen.

Ihre Ausbilderinnen waren der Meinung, dass die meisten Entscheidungen der Mensch treffen muß. Wenn man abends feststellt, dass der Hund mehr entschieden hat, ist was schief gelaufen.

Soso.

Abgesehen davon, dass wir ca. 80-90 % aller relevanten Entscheidungen sowieso treffen, also welchen Hund holen wir wann zu uns, was gibt es wann zu essen und wieviel, mit wem sind wir befreundet, wo leben wir………, ihr kennt diese Liste alle und sie kann beliebig verlängert werden, frage ich mich ganz ehrlich, was sich jemand dabei denkt, TrainerInnen in die Welt zu schicken, die mit so einer Einstellung ausgestattet werden und nebenbei noch zu behaupten, es ginge um das Wohl der Menschen und ihrer Hunde.

Denn: wenn ich meinen Hund permanent daran hindere, mir mitzuteilen, wie er sich in der jeweiligen Situation entscheiden würde, dann hindere ich ihn daran, selbständig zu denken und eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Ich spreche ihm auch die Fähigkeit ab, dies in meinem und im Sinne unserer Familie zu tun. Und spätestens jetzt sollte man stutzig werden.

Denn: Hunde sind in der Lage, alleine zu überleben, Familien zu gründen und ihre Kinder ohne fremde Hilfe groß zu ziehen. Allein diese Tatsache ist ein deutlicher Hinweis drauf, dass sie intellektuell sehr wohl fähig sind, vernünftige und gut durchdachte Entscheidungen im Sinne ALLER zu treffen, mit denen sie zusammen leben.

Zur Untermauerung meiner Aussage hier zwei Beispiele:

Auf dem Beitragsbild seht ihr meinen lieben Fritzi, ein Kromfohrländerrüde, der fast 14 Jahre bei mir gelebt hat und 2013 gestorben ist. Seine Lieblingsaufgabe, die er sich selber gewählt hatte, war: auf unser Gehöft, auf die Loni, unsere Kromihündin, und auf uns aufpassen, dass nix passiert. Dazu hat jeden Tag mindestens 2x bis kurz vor seinem Tod alle Ein- und Ausgänge und alle Zäune kontrolliert, ob alles in Ordnung ist und niemand Unbefugter eingedrungen ist. Das ist eine nützliche Aufgabe, wenn man auf einem sehr großen Anwesen wie unserem lebt, das verschiedene Eingänge hat, die man nicht einsieht. Auf dem Foto liegt er unter den Linden vor der Haustüre und sieht aufmerksam in Richtung Gästegarten, vermutlich war da drüben gerade was los.
Es konnte jeder zu uns reinkommen – vorausgesetzt, mein Mann und ich haben das so entschieden. Einfach so reinmarschieren war für Unbekannte nicht so ein guter Plan. Die Gäste in den Ferienwohnungen oder auf den Stellplätzen konnten in aller Ruhe ihr „Unwesen“ treiben, solange sie nicht auf unsere Privatgelände kamen, war alles gut. Jeden Morgen lief er auf den Hundeplatz, hat in alle Himmelsrichtungen einmal kurz gebellt „Hallo, ich bin da und passe auf“ und hat anschließend seine Kontrollrunde gemacht, die ca. 20 Minuten gedauert hat, denn unser Anwesen ist groß und er war sehr gründlich.

Indiana und Maxl

2 Jahre nach seinem Tod zog Indiana bei uns ein, eine Herdenschutzhündin (oder Mix) aus Griechenland. Über ihre Wachhundqualitäten möchte ich jetzt nicht berichten, obwohl sie über die sehr wohl ganz im Sinne vom Fritzi verfügt. Vor ein paar Wochen hatte unser kleiner Maxl einen Anfall von Größenwahn und hat eine Boxerhündin attackiert, die er nicht leiden kann. Das ist ein nette und freundliche Hündin, der das nach dem 2. Zwicker in den Allerwertesten dann doch gereicht hat und so hat sie ihm zwei Löcher in den Popo gesetzt. Sehr nachvollziehbar. Seitdem ist der Maxl etwas vorsichtig, wenn wir an ihrem Anwesen vorbeigehen.
Vor ein paar Tagen waren wir auf dem Weg über die Wiese, der direkt auf dieses Anwesen zugeht. Mir war klar, dass wir vorher ausweichen müssen, da ich 1. nicht möchte, dass sich die Boxerhündin von uns angegriffen fühlt und 2. meinen Hunden die Aufregung ersparen wollte. Weil das Gras aber noch so hoch war, wollte ich kurz vorher abbiegen, damit der kleine Maxl nicht so lange durchs hohe Gras laufen muß. Ehe ich mit meinen komplizierten Überlegungen zu Ende war, ist Indiana abgebogen und der Maxl ist sofort hinter ihr her. Die Boxerhündin hat uns überhaupt nicht bemerkt und wir gingen ruhig und entspannt weiter.

Zwei Hunde, die Entscheidungen treffen, die ganz in unserem Sinn sind: ein sehr wachsamer Hund verhindert, dass jeder, dem es mal einfällt, hier einfach durchläuft, eine sozial hochkompetente Hündin wählt einen kleinen Umweg, der uns allen Aufregung erspart. Wo ist das Problem? Ich seh keins. Ganz im Gegenteil.

Wenn ich dem Fritzi verboten hätte, seine selbstgewählte Aufgabe auszuführen, wäre er einfach nur unglücklich und frustriert gewesen. Wenn ich darauf bestanden hätte, dass wir noch weitergehen anstatt Indiana hinterher zu laufen, hätte es vielleicht richtig Randale am Zaun gegeben. Wozu? Nur damit ich recht habe?

Selbstverständlich lasse ich meine Hunde nicht ins Messer laufen, indem sie alles machen dürfen, was ihnen gerade so einfällt. Das ist ja die Grundlage jeder Erziehung, dass man Hunden oder Kindern nahebringt, wie man mit dieser Welt am besten umgeht, damit man gut klar kommt. Wir laufen an der Straße und im Wald an der Leine, wir überqueren Straßen auch erst, wenn wir sicher sind, dass das gefahrlos möglich ist, wir gehen Bögen um andere Hunde und Menschen, wir gehen auf die Seite, wenn ein Auto kommt oder ein Fahrradfahrer oder Jogger vorbei möchte….. das kann man alles lernen. Und – Überraschung – man kann es seinem Hund freundlich und ohne Verbote erklären.

Letztendlich kommt es immer darauf an, was wir in unserem Alltag so brauchen, und das ist individuell unterschiedlich. Wenn ich mit den Hunden über den Hundeplatz rausgehe, dann kann ich sie einfach rauslaufen lassen, vor mir, denn da is nix! Kein Auto, keine Jogger, keine Hunde…. da muß ich nur einen prüfenden Blick in die Runde werfen, falls tatsächlich jemand über die Wiese kommt, warte ich, bis der weg ist, dann können die Hunde raus. Ganz anders sieht das aus, wenn ich zur Straße rausgehe, dann überblicke ich das nicht, also kontrolliere ich zuerst, ob die Hunde gefahrlos rauskönnen und (!) sie sind an der Leine. So einfach ist das.

Aus allem und jedem eine grundsätzliche Sache machen zu wollen, starre Regeln aufzustellen, die den Hunden jede Fähigkeit zu Eigenverantwortung und mir die alleinige Befehlsgewalt übertragen, ist einfach absurd und albern. Ich erziehe meine Hunde und die Hunde meiner KundInnen ganz bewußt zur Eigenverantwortlichkeit, zu Selbtstvertrauen und eigenständigem Denken. Denn was ist los, wenn der Hund mal auf sich gestellt ist und niemand ist da, der ihm sagt, was er tun soll? Dann wirds wirklich kritisch.

Ums nochmal klar und deutlich zu sagen: Strichlisten zu führen, ob ich tatsächlich alle Entscheidungen getroffen habe, und darauf zu bestehen, alle zu treffen, zeugt von Sklavenhaltermentalität. Meine Hunde sind meine Freunde, nicht meine Untergebenen, die strikt alle Befehle zu befolgen haben.

Lasst eure Hunde ruhig entscheiden, traut euch. Wer mal ausprobiert hat, was für schöne und interessante Ideen Hunde auf unseren gemeinsamen Spaziergängen haben, der wird das immer wieder tun. Und mehr Vertrauen in seinem Hund bekommt.

Guter Plan?

Der Maxl findet den Plan gut.

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