Mantrailing mit einer blinden Hündin – geht das?

Wer mich kennt, weiß dass ich manchmal etwas leichtsinnig bin, man könnte auch sagen, ich neige hin und wieder zum Größenwahn. Das äußert sich etwa so: Per Mail erreicht mich eine Anfrage, ob es möglich wäre, mit einer blinden Hündin aus dem Tierschutz beim Trailseminar mitzumachen. Der Anfrager möchte gerne seiner Frau ein paar Tage Urlaub + Seminarteilnahme bei uns schenken. Ich denke kurz – wirklich kurz ca. 2 Sekunden – nach und komme zu dem Ergebnis: warum eigentlich nicht? Antwort: logisch, können wir machen. Die Buchung erfolgt prompt, genauso prompt ist die komplette Zahlung auf meinem Konto – und da kommen mir, ca. eine Woche nach meiner Zusage, doch ein paar Bedenken. Aber absagen geht auch nicht mehr. Also muß mir was einfallen.

Also kontaktiere ich meine KollegInnen vom Gewaltfreien Hundetraining. Taube Hunde, alte Hunde, behinderte Hunde, hatte ich alles schon beim Trailen, das war kein Drama. Aber eine blinde Hündin? Zehn Jahre alt? Aus dem ungarischen Tierschutz? Das einzige was ich weiß ist: sie ist alt und war über Jahre in einem Stall eingesperrt, bis eine Tierschützerin, die in Ungarn lebt, sie befreit hat. Übertrieben sicher im Umgang mit Fremden ist sie auch nicht, im Gegenteil, Stimmen, die sie nicht kennt, machen ihr Angst.

Das kann ja heiter werden. Was ist mir da nur wieder eingefallen? Aber jetzt muß ich da durch.

Bis die Antworten meiner KollegInnen eintreffen, überlege ich hin und her und komme zu dem Ergebnis, dass ich auf alle Fälle mit Schleppen anfangen werde, nicht mit meiner üblichen Methode, dass die Bezugsperson weggeht. Hunde aus dem Tierschutz kriegt man oft sehr gut über Futter, also werden wir ihr was superleckeres schleppen. Dann muß ich mich mit ihr irgendwie anfreunden, damit sie meiner Spur folgt und auch den Gegenstand, den ich ihr hinlege gut findet. Die Lösung kommt von einer Kollegin, die schon mit blinden Hunden getrailt hat: gib ihr die Weste am Tag vor und lass sie Leckerchen rausfressen. Gute Idee! Vor lauter Nachdenken komme ich nicht auf das Einfachste.

Der Tag der Anreise kommt, das Ehepaar erscheint mit Wohnwagen und 8 (acht) Spanielmädchen aus dem Tierschutz. Da ist was los bei uns. Freitag abend ist wie immer Theorie, ich übergebe meine Weste und erkläre, was sie heute abend noch mit der Hündin machen soll. Und am Samstag gehts los. Zuerst sind die anderen Hunde dran, aber schließlich kommt Raisin, die blinde Cockerhündin, an der Reihe.

Die erste Schwierigkeit besteht schon darin, dass sie nicht von den anderen Spaniels wegmöchte. Ganz langsam und geduldig überreden wir sie dazu, mit uns mitzukommen. Der ganze kleine Hund drückt aus: na, das weiß ich jetzt nicht, ob ich das will. Ich schleppe ihr über eine Distanz von maximal zehn Metern ein riesiges Stück Käse, lege meine Weste hin, die schon ganz vollgeschlabbert ist, und auf die Weste kommt eine Dose mit löchrigem Deckel, drin ist auch Käse.

Und dann gehts los: sie bellt immer wieder mal, so kleine, kurze Kläffer, ist sehr unruhig, kreiselt, läuft zurück, hin und her und braucht für die zehn Meter mindestens zwei Minuten. Mir kommen beim Zusehen ernste Zweifel, ob die Strecke nicht zu lange war. Aber sie megaglücklich, als sie die Weste schließlich mit Hilfe ihres Frauchens findet, nachdem sie dreimal drumrum gelaufen ist, frißt den Käse und kuckt schon ein wenig munterer. Also auf zum nächsten Trail.

Drei Trails läuft sie und jedes Mal wird es ein kleines bisschen besser, ihr Frauchen hilft ihr ganz viel und das ist erstmal gut so. Am Nachmittag findet sie es auch gar nicht mehr so schlimm, als sie alleine los soll und die anderen Spaniel nichtmit kommen. Wir sind in einem anderen Gelände, und ich sage ihrem Frauchen, sie soll sie mal mehr selber machen lassen  – und siehe da – es geht wieder ein Stückchen besser.

Am Sonntag vormittag geht sie ganz begeistert mit und legt einen Trail hin, der uns alle fassungslos macht: sie läuft ihre zehn Meter zügig mit kleinen Absicherungen im Kreis auf die Weste zu und freut sich ein Loch in den Bauch, als sie da ist. Und ihr Frauchen strahlt fast um den Kopf rum! Gut, dass sie Ohren hat, die bremsen. Das Wochenende war für alle ein voller Erfolg.

Zwei Wochen später ist die ganze Truppe wieder da und Raisin macht in einer bestehenden Gruppe mit. Als sie dran ist, läuft sie mit kleinen Abweichungen ihre zehn Meter zur Weste und alle sind begeistert. Beim zweiten Trail  vergessen die anderen Damen beim Zuschauen, dass die kleine Maus Probleme mit fremden Stimmen hat. Nein, sie hört nicht einfach auf oder kriegt Angst. Sie dreht sich um und bellt: haltet gefälligst die Klappe dahinten! Bis dahin war alles wie gehabt. Zwar ein anderes Gelände, aber immer noch „Ute suchen“. Und jetzt ändern wir etwas entscheidenedes. Wir lassen eine vollkommen fremde Person laufen und Raisin arbeitet wie auf Schienen ihren Minitrail aus.

Stolz wie Bolle steht sie vor der Weste und will ihre Belohnung. Sie hats verstanden: lauf der Spur hinterher, die nach diesem Gegenstand riecht, und wenn du an der Jacke angekommen bist, gibts Käse.

Und ihre Menschen erst! Die sind überglücklich. Ihre kleine Maus hat einen Riesenerfolg gefeiert – und ich muß mal ganz klar sagen: diese zehn Meter, die Raisin da jedes Mal bewältigt, sind eine gewaltigere Leistung als 1.000 Meter bei einem gesunden, gut trainierten Hund. Es gehört so viel dazu, sich so etwas zu trauen. Sie sieht nichts, sie war vernachlässigt, sie ist vielleicht auch schlecht behandelt worden, sie ist getrennt von ihren Freundinnen….. natürlich hat sie viel Vertrauen zu ihrem Frauchen, aber das ändert nichts daran, dass es ja wirklich schwer für sie ist zu verstehen, was wir von ihr wollen, und das dann auch noch zu machen. Sie muß ja voll und ganz darauf vertrauen, dass wir nichts total verrücktes mit ihr machen.

Falls ich das noch schaffe, die Videos so zu verkleinern, dass ich sie hier hochladen kann, stelle ich sie noch ein. Aber ich möchte allen, die mit Tierschutzhunden raten: traut diesen Hunden, auch wenn sie weiß Gott was für Behinderungen haben, ruhig was zu. Macht die Bedingungen so einfach – z.B. darf für einen blinden Hund kein Ästchen im Weg liegen -, dass der Hund das garantiert schafft. Geht auf seine Besonderheiten ein, freut euch über den winzigsten Erfolg  – das macht Mut und Selbstvertrauen.

Raisins Menschen haben mich gebeten, die Seite der Tierschützerin hier einzustellen. Vielleicht macht die Geschichte ja auch jemanden Mut, so einen kleinen, liebenswerten Spaniel aus dem Tierschutz zu adoptieren. Es sind so freundliche, sanfte Hunde, die einfach nur Zuwendung und Verständnis brauchen.

https://de-de.facebook.com/spanielmentes/

Und jetzt nochmal zu meinem Größenwahn. Reiner Größenwahn war das natürlich nicht, ich weiß schon, was ich tue und mache solche Zusagen nicht einfach aus Jux und Dollerei. Selbstverständlich wird die kleine Raisin nicht der Wahnsinnstrailhund, muß sie auch nicht. Aber die Strecken werden garantiert länger und ein paar Schwierigkeiten werden wir schon noch finden, die sich garantiert meistern kann. Aber ich denke, auch für TrainerInnen gilt was für Hunde gilt: wir müssen uns ab und zu auch mal was zutrauen, was aus dem üblichen Rahmen rausfällt. Und wenn wir das dann gut vorbereiten, eine tolle Truppe wie meine KollegInnen von www.gewaltfreies-hundetraining.de zur Unterstützung an der Seite haben, dann ist der Erfolg schon fast garantiert – und so ein Erfolgserlebnis können wir alle brauchen.

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