von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin
Kürzlich brachte jemand in einer Diskussion auf Facebook folgenden Satz: „Jeder „normale“ Mensch mit etwas Menschenverstand weiß, dass im TV (und ich nenne keine Namen) nicht immer alles so ist wie es scheint.“ Die Person, die das geschrieben hatte, ist mir persönlich nicht bekannt und ich halte es auch nicht für sinnvoll, solche Diskussionen im Internet allzu ausführlich zu betreiben, da sie erfahrungsgemäß so gut wie immer ausarten. Aber dieser Satz hat mich sehr nachdenklich gemacht, da man ihn oft und in verschiedenen Varianten immer wieder hört. Da ist die Rede vom „gesunden Menschenverstand“, von „Hundeverstand“, den der Mensch hat, von „Bauchgefühl“ und allem möglichen sonst noch. Das ist zunächst ja gut, wenn Menschen anfangen, sich auf ihr Gefühl zu verlassen und ernsthaft darüber nachdenken, was sie mit ihrem Vierbeiner denn so anstellen. Aber diese Pauschalisierungen halte ich denn doch für gefährlich und deshalb möchte ich das mal etwas näher ansehen.
Die Frage schlechthin, die bei mir immer auftaucht, wenn ich mit Sentenzen wie „das ist doch normal“ konfrontiert bin, ist: was ist eigentlich „normal“? Um mal von was anderem als Hunde zu reden: ist es normal, daß Menschen in relativ sicheren Lebensumständen wie die Furien auf Flüchtlinge losgehen und sie am liebsten ermorden wollen? Ist es normal, daß Eltern ihre Kinder mit Psychopharmaka wie Ritalin vollstopfen, nur damit sie leistungsfähig werden? Ist es normal, daß Gifte wie Glyphosphat nach wie vor in Regalen von Gartenabteilungen stehen und gekauft und verwendet werden, obwohl wir eigentlich wissen, was sie für Schäden angerichten? Ist es normal, daß zivilisierte, an sich friedfertige Menschen beim Anblick eines Hundehaufens vollkommen hysterisch werden und außer sich geraten?
Und um wieder auf Hunde zurück zu kommen: ist es normal, daß nach wie vor die überwältigende Mehrheit der Hunde an Halsbändern durch die Gegend geführt wird, obwohl man um die Gefahren von Halsbändern weiß? Ist es normal, daß nach wie vor die überwältigende Mehrheit der Hunde mit minderwertigem Industriefutter gefüttert wird, obwohl die Hunde davon krank werden und dies seit langem bekannt ist? Ist es normal, daß mittlerweile eine überwältigene Mehrheit der Hunde gestört ist, weil sie isoliert gehalten, überbespaßt oder durch gewaltsames Training asozial werden?
Soll ich Ihnen was sagen? Ja, es ist normal. Denn „normal“ ist, was die Mehrheit macht, die Mehrheit legt die Normen fest, nicht die Minderheit, oder sie akzeptiert Normen, die von „Experten“ festgelegt wurden. Beispiel gefällig: Hunde müssen doch immer links laufen, oder? Egal was passiert, das ist doch normal!
Und jetzt TV-Training: ich finde es eigentlich recht lustig, daß jemand, der sich selber als durchaus vernünftigen Menschen betrachtet, heutzutage sowas ernsthaft behauptet. Aber richtig glauben kann das doch wahrlich niemand, der sich ein ganz klein wenig damit befasst, wie Manipulation über die Medien läuft. Und selbst wenn viele Menschen verstehen, daß sie manipuliert werden sollen, machen sie trotzdem nach, was Fernsehgurus ihnen vormachen. Oder wie erklären Sie sich, daß durchaus intelligente Menschen, die ihren Hund aufrichtig lieben, in meiner Hundeschule zwecks Berabeitung eines Problemverhaltens aufschlagen und vollmundig erklären: „Klar kann das nicht stimmen, was die im Fernsehen so vormachen, aber wir wollten das mal ausprobieren, weil der/die ist doch so bekannt und hat doch auch viele Bücher geschrieben, die große Auflagen haben.“ Muß also doch was dran sein, oder?
Ja, liebe normale Menschen mit gesundem Menschenverstand, mein Menschenverstand setzt da kurzfristig aus, weil ich dann einfach nicht weiter weiß. Und obwohl ich eigentlich sehr beredt bin, muß ich dann erstmal in mich gehen, stumm bis 10 zählen, manchmal auch bis 50, und dann bei Adam und Eva anfangen, um den intelligenten, normalen Menschen mit gesundem Menschenverstand zu erklären, warum man immer, immer, immer, wenn einem jemand etwas als besonders toll und wirkungsvoll darstellt, mindestens folgende Kriterien anwenden soll:
– Ist das alltagstauglich?
– Brauche ich das wirklich, z.B. permanentes Bei-Fuß-Gehen auf meiner linken Seite?
– Braucht mein Hund das, was hier vorgeführt wird?
– Ist der Aufbau tatsächlich gewaltfrei und freundlich? Bester Indikator ist dafür der
Hund, mit dem das gezeigt wird – und jetzt raten Sie mal, wie viele Menschen hundliche
Körpersprache richtig interpretieren können? Richtig – die wenigsten.
– Kann mir das jemand mal so zeigen, daß ich es auf Alltagstauglichkeit prüfen kann?
– Kann mir das jemand so vermitteln – und mich gegebenenfalls auch korrigieren, so daß
ich es selber anwenden kann?
Diese Liste könnte man noch fortsetzen.
Wenn jemand zu mir kommt und von mir etwas wissen möchte – und hier spreche ich jetzt nicht nur für mich, sondern für viele KollegInnen, die gewaltfrei arbeiten -, dann muß ich in der Lage sein, ihm zu zeigen, daß und wie es klappt – und zwar nicht nur auf dem Bildschirm. Dann muß ich auch in der Lage sein, ihm zu erklären, warum wir erstmal ein paar Stunden etwas anderes machen müssen, z.B. weil der Hund durch falsches Training so mißtrauisch geworden ist, daß er erst Vertrauen zu mir bekommt. Dann muß ich meinen Kunden auch die Körpersprache ihres Bellos richtig nahe bringen können: warum höre ich jetzt mit dem Training auf und warum mache ich diese Übung und nicht eine andere? Und – ganz wichtig – ich muß in der Lage sein, diesem Menschen beizubringen, wie er dieses Training übernehmen kann. Es reicht nicht, wenn ich das hinkriege, denn es ist nicht mein Hund. Wie bitte schön soll das ein TV-Trainer leisten können? Kann er nicht, selbst wenn er der beste und netteste und gewaltfreieste Trainer aller Zeiten ist.
Sie haben also – Menschenverstand hin oder her – keine Möglichkeit, etwas abzuprüfen, was Sie bei jeder Hundeschule selbstverständlich tun: testen, ob das angebotene Training für Sie und Ihren Bello richtig, gewaltfrei und freundlich ist. Kann mir jemand erklären, was das mit „gesundem Menschenverstand“ zu tun hat, wenn man dann trotzdem nachmacht, was auf dem Bildschirm vorgemacht wurde? Schwierig, oder?
TV-Training ist kein Training, egal wie man es dreht und wendet. Es ist eine Möglichkeit für so manche TrainerInnen, die Heu machen, solange die Sonne scheint, schnell ihre Weisheiten an den Mann und die Frau zu bringen, egal was draus wird. Es kann eine Möglichkeit sein für seriöse TrainerInnen, aufzuzeigen, welche Varianten eines Trainings es geben kann, immer mit dem Hinweis, daß das den Besuch einer Hundeschule bei ernsten Problemen nicht ersetzt, und es ist eine Möglichkeit für Hundemenschen sich zu informieren, was es so alles gibt. Mehr nicht. Und deshalb sollte man sich hüten – egal für wie fähig man sich selber hält – nachzuahmen, was x-beliebige Experten auf dem Bildschirm so vormachen.