Kastration als Therapie bei „Problem“verhalten

von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin

Er ist nicht auszurotten, dieser merkwürdige Rat vom „Experten“ und momentan häuft es sich wieder. Und weil ich die Hoffnung nicht aufgebe, daß Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen irgendwann bewirken, daß sich gewisse Erkenntnisse tatsächlich mal durchsetzen, schreibe ich diesen Artikel, denn Kastration ist im Gegensatz zu dem, was so manch ein Trainer und Tierarzt von sich gibt, nicht unbedingt die Lösung für problematisches Hundeverhalten.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen großen, freundlichen, an anderen Hunden sehr interessierten Rüden. Leider landen Sie in einer Hundeschule mit einer sehr netten, nur leider etwas unerfahrenen Trainerin, die ihren lustigen Lümmel bis fast zu einem Jahr bei allen Hundespaziergängen im Freilauf mitlaufen läßt. Er hat schon lange eine Freundin gefunden, die ihm körperlich und mental gleichwertig ist, und mit der mischt er alle anderen auf. Das macht so richtig Spaß, zumindest den beiden. Jedenfalls stellt die Trainerin dann irgendwann fest, daß das doch nicht so gut ist – ab sofort Leinenzwang und überraschenderweise gibt es auf einmal Probleme mit anderen Hunden, denn das hat er einfach nicht gelernt. Sie suchen andere Trainer auf, weil Sie merken, daß hier was schief läuft und irgend einer rät Ihnen schließlich: Kastration – dein Hund hat ein Problem mit Artgenossen, da hilft nur „Eier ab“.

Oder Sie haben einen kleinen Hund einer sehr schnellen Rasse, also Terrier oder Dackel, ein Hund eben, der mehr so unter der Hemmschwelle lebt. Diese Hunde wurden nicht nur dafür gezüchtet, daß sie z.B. sofort melden, wenn sich jemand dem Gehöft nähert, sondern auch dafür, sofort und ohne nachzufragen, jede Art von Ratten und Mäusen zu vernichten – also schnell zuzubeißen. Selbstverständlich lernen auch diese Hunde eine Beisshemmung, aber gerade dadurch, daß sie klein und sooo süüüß sind, sind sie häufig genötigt, sich etwas deutlicher als beispielsweise Rottweiler oder Pitbulls aufdringliche Menschen vom Leib zu halten. Wenn dann noch dazu kommt, daß das Training in der Hundeschule sehr übergriffig läuft und stark kommandoorientiert ist, dann lernen diese Hunde ganz schnell, zu ihren eigenen Menschen nett zu sein – wenn man Glück hat –  und anderes Zweibeinervolk auf Distanz zu halten. Und auch hier hört man dann von nicht so schrecklich kompetenten Kollegen, die schmerzhafte Erfahrungen mit dem Esszimmer des süßen, kleinen Wichtes machen mußten: kastrieren und das Problem ist erledigt. Ja, wenns so einfach wäre. Das Problem ist nur: „Eier ab“ hat nix mit „bleib mir vom Leib“ zu tun.

Ein letztes Beispiel, denn alle guten Dinge sind ja drei.

Sie haben einen jungen, sehr temperamentvollen Rüden, der sehr flott an der Leine unterwegs ist und jeden Tag tausend gute Ideen hat, wie er Ihren Alltag etwas bunter gestalten kann. Das kann zugegebenermaßen sehr anstrengend sein. Aber es ist auch lustig, wenn man nicht alles so tierisch ernst nimmt und augedröselte Socken im Bett, die neuen, schicken Pumps auf dem Komposthaufen oder zerlegte Blumentöpfe im Garten nicht unbedingt ein Drama darstellen. Das Ziehen an der Leine ist allerdings nicht lustig. Ich frage mich nur: in welchem Zusammenhang stehen zerlegte Blumentöpfe, Löcher im Garten oder ein an der Leine ziehender Hund mit Kastration? Sie verstehen das auch nicht? Gut, dann sind wir schon zwei. Trotzdem hört man immer wieder von KollegInnen und Tierärzten: kastrieren, dann wird er ruhiger. Ja, vielleicht so in 6,7 Jahren, aber die Kastration nimmt ihm garantiert nichts von seinen tollen Ideen und Leinenführigkeit bekommt man nicht mit der Narkose eingespritzt.

Ich bin wahrhaftig nicht gegen Kastration. Gerade bei Rüden, die in Gegenden mit unkastrierten Hündinnen in der Nachbarschaft leben, hat das viel für sich, um einem Rüden eine vernünftige Lebensqualität zu verschaffen. Aber selbst da muß man immer sehen, ob es bei diesem speziellen Hund tatsächlich notwendig ist. Um ein sog. Problemverhalten zu beseitigen, braucht es allerdings schon ein bißchen mehr. Da sollte man vielleicht ein wenig genauer hinsehen, wo die Ursache liegt und wie man sie beseitigen kann.

Nachdem wir Hundetrainer jetzt mittlerweile alle gefordert sind, uns fachlich ein bißchen auf dem Laufenden zu halten, da wir alle eine Genehmigung benötigen, um unseren Beruf ausüben zu können, wäre es doch schön, wenn dieser Quatsch endlich aus den Köpfen der KollegInnen verschwinden würde.

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