von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin
Nachdem ich immer wieder in Diskussionen über Schutzdienst verwickelt werde und mich immer wieder mit Menschen auseinandersetzen muß, die überzeugt sind, dass man diese „Sportart“ ganz toll für Hunde gestalten kann, so man nur positiv arbeitet, z.B. über den Clicker, habe ich diesen Artikel mal wieder hervorgeholt und ein bisschen überarbeitet.
In seinem bemerkens- und sehr lesenswerten Buch „Kommando: Voran! Der Schutzhundesport im Fokus“ geht Jörg Tschentscher kurz auf die Schutzdienstfreunde ein, die mit Clicker und positiver Motivation ihre Hunde dazu bringen, Menschen zu beissen. Weil mir dieses Thema in seinem Buch ein wenig zu kurz kommt, möchte ich hier näher darauf eingehen, warum Schutzdienst in jeder Form, egal wie „nett“ ich mit meinem Hund arbeite, schädlich für Hunde und damit auch für Menschen ist.
Einer der ersten, der sich mit gewaltfreiem Training für Diensthunde, Rettungshunde und Sporthunde befasst hat, war Klaus Glöckner in seinem Buch „Der gewaltfreie Weg zum Verbellen“. Klaus Glöckner erklärt ausführlich, wie man einen jungen Hund mit Geduld, Loben und Belohnen an der richtigen Stelle dazubringt, einen Schutzdiensthelfer zu verbellen: alles, was er nicht machen soll, z.B. anspringen, wird nicht beachtet, Verbellen wird allerdings belohnt. Da sollte man sich doch mal genauer ansehen, was „Verbellen“ unter Hunden für eine Bedeutung hat.
Lautes Bellen ist eine der vokalen Ausdrucksmöglichkeiten, die Hunde, so sie es vernünftig gelernt haben, sehr differenziert einsetzen. Es ist ein Warnlaut, der automatisch von allen Menschen und Hunden auch so verstanden wird. Haben Sie schon mal irgendwo versucht einzuschlafen, wo in der Nähe ein Hund bellt? Ich hatte das Vergnügen in meiner Aussendienstzeit in einem Hotel bei Stuttgart. Dort hatte ich die Wahl zwischen einem Zimmer zur B27, eine der meistbefahrenen Straßen in Süddeutschland, auf der der Verkehr nie ruht, oder einem Zimmer nach hinten, wo man jede Nacht ab ca. 22.00 Uhr Zwingerhunde bellen hörte – die ganze Nacht. Ich bin nachts sehr lärmempfindlich, aber die Wahrscheinlichkeit gut zu schlafen war in Richtung B27 deutlich höher.
Wenn ein Hund bellt, egal ob er sich freut oder etwas abwehrt, hören wir automatisch, daß hier gerade etwas passiert, über das wir tunlichst Bescheid wissen sollten. Bei freudigem Bellen kommt evtl. bekannter , beliebter Besuch oder ein Familienmitglied. Bei unfreundlichem Bellen handelt es sich um eine – nach Ansicht des Hundes – konkrete Gefahr, bei der er versucht, durch sein Bellen den vermeintlichen Angreifer zu vertreiben oder er ruft um Hilfe.
Was passiert jetzt beim Verbellen im Schutzdienst?
Um das zu verstehen, müssen wir viel weiter nach vorne gehen, denn ehe ein Hund verbellt, teilt er uns auf sehr vielfältige Art und Weise mit, daß seiner Meinung etwas nicht in Ordnung ist und wir uns bitte darum kümmern sollen. Wir alle kennen dieses Wuffen, das sich wie ein lautes Atmen anhört. Im Alter von ca. 6-9 Monaten fangen Hunde damit an, wenn ihnen etwas merkwürdig vorkommt, z.B. sehen sie ihr Spiegelbild in der Terrassentür, beim Morgenspaziergang steht eine Mülltonne auf der Straße, es geht jemand am Garten vorbei………. die Situationen sind vielfältig und jeder Hundebesitzer kennt sie. In der Regel wirkt der Hund in solchen Momenten sehr verunsichert und zeigt eher die Tendenz, im Zweifelsfall abzuhauen. Für uns Menschen ist das ein wichtiger Moment in der Hundeerziehung, denn jetzt kann ich zum einen viel Vertrauen aufbauen, zum anderen kann ich aus meinem Hund einen guten Wachhund machen, der nicht (!) rumbellt wie nix gutes, sondern mir mit ganz minimaler Lautgebung mitteilt, wenn seiner Meinung etwas im Busch ist. Meine Pflicht ist es dann, nachzusehen und dem Hund mitzuteilen, daß alles in Ordnung ist oder eben nicht. Sollte tatsächlich Gefahr für Leib und Leben bestehen, ist es unsere Sache eine friedliche Lösung zu finden. Wer das versäumt, erlebt, daß sein Hund immer lauter und unsicherer wird. Das ist auch logisch, denn er hat immer noch nicht verstanden, ob das da draußen vor dem Gartenzaun jetzt gefährlich ist oder nicht. Außerdem braucht dieser Mensch offensichtlich deutlichere Meldungen, damit er sich endlich kümmert. Wer dann immer noch nicht kapiert, daß er seinem Hund beizustehen hat, der bekommt einen Hund, der bei jeder Gelegenheit alles verbellt, was vorbeigeht.
Wir alle kennen Hunde, die hinter dem Gartenzaun herumtoben und sich gebärden wie die Irren, sie haben gelernt, daß außer ihnen niemand versteht, wie gefährlich Passanten sind und daß er allein dafür verantwortlich ist, daß hier nichts Schlimmeres passiert. Unzählige Nachbarschaftstreitigkeiten sind dadurch entstanden. Und die Nachbarn, die sich genervt fühlen, haben mein Verständnis mindestens im gleichen Maß wie die Hunde, die total gestresst sind und denen niemand hilft. Denn selbst, wenn sie den einen Passanten vertrieben haben: es kommen ja wieder welche, teilweise auf dem Fahrrad, teilweise zu Fuß, vielleicht auch mit Hund, der sich auch genervt fühlt und zurückkeift. Niemand will das, aber viele haben so eine Situation mit ihrem Hund im Garten.
Und jetzt zurück zu Klaus Glöckner: der Hund wird bewußt erst dann belohnt, wenn er das „Richtige“ macht: den Menschen verbellen. Wenn er das tun könnte, was er eigentlich möchte, dann würde er nur „hmpf“ machen und darauf warten, was sein Mensch davon hält. Ich belohne den Hund also für etwas, bei dem er garantiert unter Stress steht und das noch dazu höchst stressig weitergeht. Denn das nächste ist ja, daß zuerst die Beißwulst, dann der Beißarm am Boden und schließlich der Beißarm am Arm des Figuranten zum Einsatz kommen. Sein Bellen hat also nicht wirklich Erfolg. Erfolg im Sinne des Hundes würde nämlich bedeuten, daß ihm sein Mensch zu Hilfe eilt und der Angreifer verschwindet. Egal wie wir das drehen und wenden, wir lassen den Hund in dieser für ihn hochkomplizierten Situation allein und das womöglich schon im Alter von wenigen Monaten. Was soll daran bitte positiv sein? Daß er anschließend ein Stückchen Wurst bekommt?
Um effektiver und im Timing besser zu sein, verwenden viele Hundesportler, die gewaltfrei arbeiten möchten, einen Clicker. Der ist irgendwie immer positiv. Es ist aber vollkommen egal, was ich als Bestätigung einsetze, wenn das, was ich bestätige für den Hund nicht so richtig logisch ist, bzw. er etwas bestätigt bekommt, das nach seiner Meinung defintiv nicht in einer Kampfhandlung enden sollte. Hunde legen keinen Wert darauf mit anderen zu kämpfen. Wenn sie das – angeblich – gerne tun, dann wurde ihnen das so beigebracht, bzw. ihnen wurde keine Alternative geboten, bzw. man hat sich nicht dafür interessiert, welche Alternativen der Hund angeboten hat.
Denn zubeisssen und zwar so, daß man den anderen ernsthaft verletzen kann, ist das letzte was Hunde als Abwehrmaßnahme wählen. Warum?
Gehen wir mal kurz von den Hunden weg und betrachten uns selber. Das kann man in diesem Fall sehr gut, denn unser Sozialverhalten ist dem von Hunden gerade in diesem Bereich zu 100% gleich.
Stellen Sie sich vor, Sie haben massiv Ärger mit Ihrem Nachbar, weil der ständig Ihre Garage zuparkt. Sie geben sich ohne Ende Mühe, ihn davon abzubringen, aber egal ob Sie gütlich mit ihm reden, ihm einen Deal anbieten, mit ihm streiten oder ihm drohen: es interessiert ihn nicht, er parkt weiter vor der Garage. Sie erzählen das Freunden und Bekannten, in der Arbeit und beim Kegelverein, es beschäftigt Sie so sehr, daß Sie es jedem erzählen, der Ihnen über den Weg läuft. Immer wieder bekommen Sie die Antwort: geh zum Anwalt, sonst hört das nie auf. Was glauben Sie, wie lange Sie brauchen, bis Sie diesen Rat befolgen? Und wenn Sie sich endlich dazu entschlossen haben, wie lange wird Ihr Anwalt brauchen, bis er sie zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung überredet hat? Wenn Sie ein gut sozialisierter Mensch sind, dann kann das sehr lange dauern, unter Umständen Jahre. Warum ist das so? Weil wir genau wissen, daß jeder Schritt, den wir mehr in Richtung „Kampf“ gehen und schließlich der Kampf selber uns selbst ebenfalls erheblichen Schaden zufügen kann, der u.U. nicht wieder gut zu machen ist. Und Hunde wissen das auch. In jeder körperlichen Auseinandersetzung besteht die Gefahr, daß beide so schwer verletzt und beschädigt werden, daß sie evtl. zu Tode kommen oder nie mehr ganz gesund sein werden. Deshalb vermeiden gut sozialisierte Menschen und Hunde Auseinandersetzungen und Kämpfe so gut es irgendwie möglich ist. Was Hunde betrifft, ist der Schaden beim Schutzdienst vorprogrammiert: Schäden am Skelett und am Gebiss sind so gut wie nicht zu vermeiden, von den seelischem Schäden ganz zu schweigen.
Jetzt behaupten Freunde dieser Sportart, daß es sich ja um ein Spiel handelt, ein Kampfspiel eben, und Hunde würden ja auch spielerisch miteinander kämpfen. Wer das ehrlich von seinen Hunden oder den Hunden in seiner Hundeschule behauptet, sollte entweder was am Training und am Umgang ändern, oder er sieht nicht genau hin. Bei jungen Hunden ergeben sich manchmal sog. Kommentkämpfe, bei denen die Hunde mit lauten Getöse und weit aufgerissenen Mäulern aneinander hochgehen, je nach Rasse kommt das häufiger oder eben gar nicht vor. Diese Kommentkämpfe entstehen bei jungen Hunden dadurch, daß die Hunde ins Streiten kommen und – wie Kinder und junge Leute – eben ein wenig heftiger werden. So eine Situation muß ganz schnell beendet werden und zwar von den Kontrahenten selber, damit nichts eskaliert und ernsthafte Beschädigungskämpfe daraus werden. In der Regel wenden sie sich rasch von einander ab, beschwichtigen sehr stark und dann ist erstmal Ruhe. Mit Spielen hat das rein gar nichts zu tun. Sollte in einer Hundegruppe so etwas öfter entstehen, muß man ernsthaft nachdenken, was hier schief läuft.
Jetzt haben aber Menschen Kampfspiele, warum sollte man dann seinem Hund nicht auf freundliche Art und Weise beibringen können, daß wir jetzt gerade spielen, wenn er sich in dem Figuranten verbeißt?
Spiel erkennt man immer daran, daß Gesten und Mimik stark übertrieben sind, daß jeder das Spiel zu jeder Zeit unterbrechen kann, daß es von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt ist, jeder achtet darauf, wenn der andere z.B. anfängt zu beschwichtigen, weil ihm was zu viel oder zu eng wird, und daß die Rollen vertauscht werden. Beschädigungen müssen kategorisch ausgeschlossen werden. So wie ein Schutzhund sich aber im Ärmel verbeißt, müßte der Figurant schleunigst ins Krankenhaus, wenn er nicht geschützt wäre – Hunde wissen das, ist also schon mal kein Pluspunkt.
Dann darf der Hund auch nicht einfach sagen: mir reichts jetzt, spiel allein weiter. Ganz im Gegenteil. Hunde, die aufhören wollen, werden von den Hardlinern mit Prügeln, Leinenruck am Stachel oder Strom so lange traktiert, bis sie weitermachen. Die „Softies“ versuchen es dann mit „postivem“ Heranführen, also mit Clicker, Lob und Belohnung – das Ergebnis ist dasselbe, der Hund wird nicht verstanden und darf ganz sicher nicht „nein“ sagen.
Gesten und Mimik von Schutzdiensthunden sind in der Regel auf ein Minimum reduziert, was auch niemanden wundert, der sich mit Ausdrucksverhalten befasst: wem Beschwichtigen in der bedrohlichen Situation (Figurant greift an) verboten, aber für den eigenen Angriff belohnt wird, der hält sich nicht auf mit subtiler Körpersprache, also auch kein Pluspunkt. Und wechseln die Rollen? Darf der Hund auch mal den Figuranten provozieren? Das ist mir nicht bekannt, ganz im Gegenteil, alles was er macht, wird genau kontrolliert, ritualisiert und durchkommandiert. Über gegenseitige Rücksichtnahme müssen wir also nicht mehr nachdenken, es ergibt sich aus dem Vorhergehenden, daß der Hund damit nicht rechnen kann. Er dagegen hat sich genau an die Regeln zu halten, die andere für ihn aufstellen, damit dem Figuranten, also dem Angreifer nichts passiert.
Irgenwie ist das ein komisches Spiel, bei dem einer, nämlich der Mensch, alle Regeln bestimmt, und der andere, nämlich der Hund, überhaupt kein Mitspracherecht hat. So ein Spiel würde keinem vom uns gefallen und wir würden uns dem verweigern, egal wie üppig da rumgeclickert oder mit leckerer Belohnung um sich geschmissen wird.
Jeder, der sich mit Hunden beruflich befasst, weiß, daß man bei vielen Trainings darauf achten muß, daß man im richtigen Moment bestätigen muß: also nicht, wenn der Hund den anderen Hund anpöbelt, sondern wenn er ruhig an ihm vorbeigeht, bzw. wenn er ihn sieht und noch ruhig bleibt. Stimmt das nicht mehr, wenn man Schutzdienst betreibt? Ist es dann auf einmal richtig, wenn ich aggressives und beschädigendes Verhalten bestätige und beschwichtigendes verhindere?
Das Buch von Klaus Glöckner ist übrigens in vieler Hinsicht auch für Leute lesenswert, die Schutzdienst, VPG oder IPO, so wie ich ablehnen. Denn er differenziert sehr genau zwischen verschiedenen Formen von Zwang. Sehr interessant ist dabei seine Definition von „subtilem Zwang“: „Hierunter ist die leichteste Form von Zwang zu verstehen. Es handelt sich um Zwang ohne (Hervorherbung durch Klaus Glöckner) körperliche Einwirkung. Beispiel: Ein Hund soll gegen seinen Willen ein kleines Hindernis überwinden. Er wird mit Futter oder einem Spielgegenstand aufmerksam gemacht. Durch bauliche Veränderungen hat der Hund nur die Möglichkeit an dieses Futter / Spielzeug zu gelangen, indem er das Hindernis überwindet. Der Reiz wird verstärkt, bis das gewünschte Verhalten erreicht wird. Es handelt sich also um das „zwangsweise“ Erreichen gewünschter Verhaltensweisen gegen den Willen des Hunde, ohne körperlich auf ihn einzuwirken“ (S. 16).
Darüber sollten die Clickerfreunde unter den Schutzdienstbegeisterten doch mal ein wenig nachdenken.
Zudem sagt er mehrfach, daß es bei jedem Training ein Stadium gibt, in dem Zwang und der Einsatz aversiver Methoden sehr wohl notwendig sind, wenn man ein bestimmtes Ziel erreichen möchte. Er findet, bei Diensthunden ist das angemessen, bei sog. Sporthunden eher nicht. Es ist also nicht so weit her mit der Gewaltfreiheit, wenn es sich um Schutzdienst handelt. Und selbst wenn man seinen Hund per Clicker und Futterbelohnung „gewaltfrei“ zum Beissen bringt: die Stockschläge muß er ertragen und ein Beschädigungskampf findet ebenfalls statt.
Schutzdienst bleibt Schutzdienst bleibt Schutzdienst. Egal wie ich Schutzdienst trainere, ich trainiere immer mit einen Hund, dem subtile Verständigung abgewöhnt, dafür aggressves Verhalten antrainiert wird und der einen Menschen beißen soll. Ich bringe einem Hund ritualisiert, also in immer gleicher Reihenfolge bei, auf bestimmte Auslöser „Mensch läuft weg, Mensch reißt den Arm hoch“ in den Arm zu beissen. Wie ist das dann mit Menschen auf freier Wildbahn, die weglaufen und dabei etwas hochhalten? Ich bringe den Hund in eine künstliche Situation, aus der er normalerweise weggehen würde, und lasse ihm nur eine Möglichkeit: nach vorne gehen und zubeissen. Ich stehe ihm nie bei, wenn er bedrängt wird, im Gegenteil ich verhalte mich im besten Fall neutral, bzw. gebe nur Kommandos zum Weitermachen und ich bewahre ihn auch nicht vor den Prügeln mit dem Stock.
Was ist das für eine Beziehung?
Was ist das für ein Spiel?
Hier unten habe ich einen Artikel reingestellt, der vor einigen Jahren im Nordkurier erschien. Ich finde den Titel so schön: „Motivation beste Basis der Ausbildung“. Wer Edgar Scherkl kennt, der weiß, daß diese Hunde ganz sicher nicht mit positiver Motivation in Berührung kommen. Was man auf den Fotos nicht so gut sieht: die Hunde haben Stachelwürger und Kettenwürger dran. Daß sich die Leinen um die Füße wickeln und dadurch lebensgefährliche Situationen enstehen, scheint niemanden zu jucken und – sowas kann auch passieren, wenn man ohne Stachel und mit Clicker arbeitet. Der Artikel steht hier, damit sich jeder mal ein Bild davon machen kann, was Schutzdienstbefürworter so alles positiv finden. Ich denke, die Hunde sehen das ganz anders.
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