von Ute Rott – Forsthaus Metzelthin
Wenn früher ein Hund Probleme mit der Leine hatte, dachte man zuerst daran, dass er damit geschlagen worden war. Nachdem das heute wirklich nur noch sehr wenige Menschen tun, weil eigentlich (fast) jeder weiß, dass man Hunde nicht schlägt und schon gar nicht mit der Leine, fällt das eigentlich weg. Aber sehr viele Hunde haben Probleme mit der Leine. Sie lassen sich nicht gerne anleinen, sie ziehen wie nix Gutes, sie wollen gar nicht erst herankommen, wenn sie merken, dass sie angeleint werden sollen….. Das muss doch Ursachen haben.
Und es gibt jede Menge Ursachen. Eine davon möchte ich hier mal ein bißchen genauer ansehen: die angebliche Freiheitsberaubung durch die Leine.
Vor einigen Jahren hatte ich einmal eine sehr nette Familie mit einem sehr freundlichen Labradorrüden zum Grundgehorsamstraining bei mir. Eigentlich lief alles sehr gut – bis auf die Leinenführigkeit. Wir führten endlose Diskussionen, warum und wann und ob überhaupt ein Hund an der Leine laufen müsse. Denn – so war vor allem die Argumentation des Vaters – man wolle dem Hund doch jede nur erdenkliche Freiheit gewähren. Nachdem ich ihm einmal die möglichen Gefahren erläutert hatte, die einem freilaufenden Hund in manchen Gegenden drohen können, kam er beim nächsten Mal wieder und fragte nach, ob ich einen direkten Draht zum lieben Gott hätte. Passiert war folgendes: nach dem Training gingen sie unterwegs noch eine halbe Stunde im Wald spazieren und der Hund sprang wie üblich immer mal wieder ein paar Meter in den Wald. Und irgendwann passierte es: unmittelbar vor ihm sprang ein Reh auf. Zum Glück war er so verdattert, dass er stehen blieb. Am nächsten Morgen ließ der Vater den Hund wie jeden Früh raus in den Garten. Es war Januar und früh um halb sieben noch dunkel. Was er nicht sehen konnte: der Besuch hatte am Abend vorher das Gartentor nicht richtig zu gemacht und der Labi lief fröhlich auf die Straße, um die Gegend zu erkunden, so wie er es schon oft getan hatte. Der Vater lief hinterher und sah seinen Hund nur noch als Silhouette im Scheinwerferlicht des Schneepflugs. Auch jetzt hatte er wieder Glück, denn der Schneepflug fuhr langsam und blieb stehen und der Hund kam sofort auf Zuruf zu ihm und ging mit ihm zurück auf den Hof.
Keine Frage – dieser Hund lernte ab sofort, dass es Momente gibt ihm Leben, da bleibt man an der Leine, bzw. das Gartentor wurde abends immer kontrolliert und es gab keine unkontrollierten Alleingänge im Wohngebiet mehr.
Ja, es stimmt. Wenn Hunde einfach so frei und unbeschwert ohne Leine rumlaufen könnten, hätten sie ein freieres und schöneres Leben. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber solche Freiheiten sind in unserer modernen Welt nur noch in wenigen Gegenden möglich. Viele Gemeinde und Städte schreiben uns ganz genau vor, wo die Hunde frei laufen dürfen und wo eben nicht. Aber es gibt auch viele Situationen, in denen man schon aus Rücksicht auf die Umwelt und auf den eigenen Hund die Leine einhakt. Überall im Straßenverkehr gehören Hunde angehängt, denn sollte etwas passieren – dem eigenen Hund, anderen Tieren oder Menschen – , macht man sich nicht nur lebenslang Vorwürfe, sondern der verletzte und / oder tote Hund ist dermaßen freiheitsberaubt, wie es schlimmer nicht geht. Und – nicht zu vergessen – wenn ein unangeleinter Hund die Ursache für einen Unfall ist, zahlt keine Haftpflichtversicherung.
Wer es versäumt, seinem jungen Hund die Leine als angenehmes Zubehör zu vermitteln, denkt nicht wirklich über die Folgen nach. Klar rennt einem der Welpe erstmal überallhin nach und traut sich ohne Mama und Papa nicht in den Wald und auf den Acker. Er wird sich bei Erkundungen auch immer rückversichern, ob mensch noch da ist. Aber je älter und selbstsicherer er wird, um so weiter geht er weg, um so mehr möchte er selbständig erkunden, umso weniger schaut er auf uns. Und spätestens dann fängt man mit dem Leinentraining an oder – und das ist keine gute Alternative – man versucht eine richtiges oder modifiziertes Bei-Fuß-Gehen zu trainieren. Das bedeutet aber, dass die Leine zur Strafe wird, bzw. dass mit viel Druck der Hund gezwungen wird, ohne Leine in unserer Nähe zu bleiben.
Warum Druck, wenn er doch „frei“ läuft? Und noch dazu kann man das doch positiv bestätigen? Ja, kann man. Aber auch das netteste Training baut Druck auf, wenn man permanent über die Einhaltung eines Kommandos wachen muss, z.B. bleib in meinem unmittelbaren Umkreis. Denn für Hunde ist das etwas vollkommen unnormales. Eine Leine auch, stimmt. Aber wenn ich einen Hund an der Leine habe, fühle ich mich sicherer, bin nicht gezwungen, ihn ständig zu überwachen, er ist ja automatisch in meiner Nähe. Und ich kann ihm ganz einfach und unkompliziert beibringen, daß die Leine eine gewisse Reichweite hat, innerhalb derer er pinkeln, kacken, schnüffeln und auch Hundekontakt haben kann.
Die Leine schützt aber in vielen Bereichen auch andere vor meinem Hund. Denn wenn ich einen sehr netten und kommunikativen Hund habe, der mit allen Hunden spielen möchte, dann stößt das beim Gegenüber nicht immer auf Gegenliebe. Ganz im Gegenteil. Der andere kann krank sein, er kann alt sein oder hat einfach so keine Lust auf Hunde, er kann schlechte Erfahrungen gemacht haben und möchte Hunden ausweichen, reagiert vielleicht sogar auf Annäherungen unfreundlich bis aggressiv, darauf sollten wir Rücksicht nehmen. Oder umgekehrt: wenn mein Hunde andere Hunde nicht so toll findet und vielleicht unfreundlich auf sie reagiert, muss ich ebenfalls dafür sorgen, dass er nicht einfach auf jeden losgehen kann. Solange ich das noch nicht im Griff habe, ist Leinenpflicht angesagt und auch wenn gelernt hat auszuweichen, sind wir auf der sicheren Seite, wenn er in der entsprechenden Umgebung angeleint ist. Und das bedeutet: hin und wieder muss unser Bello an die Leine. Wenn wir das richtig einüben, hat er damit kein Problem.
Mein Mäxchen läuft sehr viel an der Leine, weil er jagt wie die Seuche. Falls ein Hase, Reh, Damhirsch oder was ähnliches in seiner Nähe auftaucht – selbst wenn er so ein Tier nur riecht -, würde er ohne Leine sofort abzischen. Ohne Leine könnten wir nicht spazierengehen und auch nicht an diesem Thema arbeiten. Das tun wir aber seit einiger Zeit sehr erfolgreich mit dem Ergebnis, daß die leinenlosen Abschnitte auf den Spaziergängen allmählich zunehmen. Die Leine ist also nicht nur das Symbol für einen netten Spaziergang mit Frauchen, die Leine ist auch ein Stück Freiheit und Sicherheit, Sicherheit für den Hund und für seine Umgebung. Es geht heute nicht mehr anders.
Zum Schluss möchte ich nochmal auf meine Familie mit ihrem Labi zurückkommen. Mir war sehr schnell klar, warum der Vater seinem Hund soviel Freiheit wie möglich zugestehen wollte, denn er selber hatte einen extrem anstrengenden Beruf mit langen Arbeitszeiten. Sein Hund sollte deshalb so wenig Einschränkungen wie möglich erfahren. Eigentlich ein schönes Motiv. Nur leider nicht wirklich durchführbar.