Dr. Michael Lehner, Clarissa von Reinhardt, animal learn Verlag
Über Kastration bei Hunden wird viel und sehr emotional aufgeladen diskutiert. Während Eberferkel der besseren Genießbarkeit wegen ohne Narkose und Schmerzbehandlung generell kastriert werden, unkastrierte Hengste in den meisten Pferdeställen nicht akzeptiert werden und kein Mensch einen unkastrierten Kater in der Wohnung halten möchte, meint man manchmal, die Welt geht unter, wenn man auch bei Hunden für Kastration ist.
Dr. Michael Lehner und Clarissa von Reinhardt haben sich die Mühe gemacht und eine große Anzahl von Studien, Doktorarbeiten und Veröffentlichungen zu diesem Thema zu untersuchen und auszuwerten. Parallel dazu haben sie eine eigene Studie durchgeführt, bei der von 1.271 ausgefüllten Bögen 1.121 ausgewertet werden konnten. Das Ergebnis dieser Auswertungen, sowie ihrer beider Erfahrung als Tierarzt, bzw. Hundetrainerin und langjährige Halterin großer Hundegruppen liegt uns jetzt als Buch vor: Kastration & Sterilisation beim Hund.
Die Autoren halten nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg, daß sie in den meisten Fällen Kastration für sinnvoll und notwendig halten, um Hunden ein gutes Leben zu sichern. Trotzdem schaffen sie es überzeugend, Vor- und Nachteile von Kastration sachlich und fachlich korrekt zu erläutern, und gut darzustellen in welchen Situationen eine Kastration nicht sinnvoll ist oder den gewünschten Effekt nicht bringt, bzw. gar nicht bringen kann, z.B. zur Eindämmung des Jagdtriebes. Medizinische Aspekte wie die verschiedenen Möglichkeiten der Kastration bei Rüde und Hündin mit ihren Vor- und Nachteilen, der Unterschied zwischen Kastration und Sterilisation, Hormonhaushalt, Wirkung von Hormonen, die Geschlechtsorgane und der Sexualtrieb, Verhaltensänderungen, bzw. normales Verhaltensrepertoire von Hunden und vieles mehr wird detailliert und genau erläutert, so daß sich auch ein interessierter Laie, der sich über dieses Thema sachlich informieren möchte, gut beraten fühlen kann.
Ein sehr wichtiges Kapitel ist das Kapitel „Gesetzeslage und der Tierschutz“. Hier wird klargestellt, daß man sich auf keinen Fall strafbar macht, wenn man seinen Hund kastrieren läßt. Kastration zur Unterbindung der unerwünschten Fortpflanzung ist eindeutig erlaubt. Diese klare Aussage wird vielen Hundehaltern helfen und ihnen ihr schlechtes Gewissen nehmen, das ihnen von Leuten eingeredet wird, die z.B. kein Problem haben, Schweinefleisch von kastrierten Ebern zu verzehren.
Sehr genau gehen sie auf die vielen Vorurteile und Irrtümer über kastrierte Hunde ein und widerlegen sie klar und deutlich. Am meisten hat mich persönlich dabei beeindruckt, daß Frühkastration ganz offensichtlich nicht die negativen gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen hat, von denen die meisten ausgehen. Als beeindruckende Zeugin bringen sie einen Erfahrungsbericht einer italienischen Tierärztin, die mit der Frühkastration von Welpen angefangen hat, um eine unkontrollierte Vermehrung von Hunden aus dem Tierschutz zu unterbinden. Dorothea Friz hat selber über 2.000 Welpen kastriert, in ihren Bericht fließen Erfahrungen aus ca. 30.000 (!) Frühkastrationen einen. Von den 2.000 Hunden, die sie selber operiert hat, hatte sie zu vielen Besitzern auch nach der Abgabe noch lange Kontakt, da sie in ihrer Praxis Kunden blieben. Sie konnte deshalb die Entwicklung der Hunde gut beobachten und viele Irrtümer durch eigene Erfahrungen beheben.
Es werden auch einige Beispiele gebracht, wie kompliziert und teilweise gefährlich es sein kann, mehrere unkastrierte Hunde in einer Gruppe zu halten. Das gilt nicht nur für Hunde im Tierschutz, die sowieso schon extremem Stress ausgesetzt sind und zudem im Tierschutz landen, weil sie „überflüssig“ waren, sondern auch für Hundegruppen in Privathand. Wir selber mußten unseren Rüden kastrieren lassen, da immer wieder Hundebesitzer mit hochläufigen Hunden bei uns Urlaub machten oder in die Hundeschule kamen. Die Folge waren schwere Probleme mit der Prostata und den Analdrüsen. Die Schmerzen, die ihm dadurch entstanden, bewirkten, daß er unleidlich, unfreundlich und auch uns gegenüber immer wieder aggressiv wurde. Mit der Kastration verschwanden die Schmerzen und ebenso die dadurch verursachten Verhaltensprobleme. Wie muß es da erst Rüden gehen, die in der Zeit der Läufigkeit von ihren Gefährtinnen getrennt werden? Wir haben daraus den Schluß gezogen, daß wir heute fast jeden Rüden kastrieren lassen würden, der bei uns einzieht.
Die Auswertung ihrer eigenen Studie mit allen Fragen und den entsprechenden Antworten ist ebenfalls beeindruckend. Eine große Anzahl unterschiedlicher Rassen wird aufgeführt und ca. 90% aller Hundehalter, die an der Studie teilnahmen, würde ihre Hunde wieder kastrieren lassen. Dies widerspricht allen gängigen Aussagen von Kastrationsgegnern.
Das Buch ist rundum empfehlenswert, gut aufgemacht und übersichtlich gegliedert. Ich kann es nur allen ans Herz legen, die sich irgendwie mit dem Thema befassen. Es kann für jede Entscheidung eine Hilfe sein: dafür oder dagegen. Und es nimmt einem die Angst vor der Kastration. Der Meinungsmache, die mit größtenteils unhaltbaren Argumenten arbeitet, wird hier eine fundierte und nachprüfbare Arbeit entgegengesetzt, die – so hoffe ich – viel Beachtung finden wird.
Kastration & Sterilisation beim Hund, Dr. Michael Lehner, Clarissa von Reinhardt, animal learn Verlag,
ISBN 978-3-936188-63-9, E 19,00
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