Jetzt mach ich alles richtig!

Von den Schwierigkeiten, in einer Fehlergesellschaft zu leben

von Ute Rott – Forsthaus Metzelthin

Dieser Artikel handelt nur indirekt von Hunden. Vielmehr geht es hier darum, daß Menschen und Hunde unter einem gesellschaftlichen Phänomen leiden, das uns von der Wiege bis zur Bahre beherrscht: wir dürfen nichts falsch machen. Das äußert sich bei Hundehaltern, die mit ihrem Welpen in die Hundeschule kommen, in dem Satz: Bei diesem Hund möchte ich alles richtig machen.

Eigentlich ist das ja eine schöne Aussage, aber man sollte sie doch etwas genauer unter die Lupe nehmen. Denn was steckt dahinter? Etwa: bisher habe ich alles (!) falsch gemacht? Oder: ich darf ja nichts falsch machen, denn sonst….. ja was passiert denn sonst? Geht dann die Welt unter oder stirbt der Hund oder ist er „total versaut“? Oder was?

Die erste Frage, die sich mir bei diesem Satz stellt, ist: Geht das überhaupt, alles richtig und nichts falsch machen? Egal worum es sich handelt? Nehmen wir einmal an, jemand hatte eine Vorliebe für eine bestimmte Rasse und holt sich nach dem Tod der geliebten Pelznase wieder einen Vertreter dieser Rasse ins Haus. Auch wenn er fast identisch aussehen sollte wie sein Vorgänger, was bei manchen Rassen ja möglich ist, hat er mit Sicherheit nicht den gleichen Charakter. Selbst Wurfgeschwister sind sehr unterschiedlich, wie sollten es da nicht Hunde von verschiedenen Eltern sein. Und schon steht man vor dem Problem: was bei Hund Nr. 1 ein Riesenthema war, ist bei Hund Nr. 2 überhaupt keins. Aber was bei Hund Nr. 1 nie zur Sprache kam, ist bei Hund Nr. 2 ein Hauptthema, z.B. wenn einem eingeredet wird, man müsse unbedingt und unter allen Umständen diesen Hund optimal auslasten, sonst gibts mit Sicherheit ein Problem. Und schon hat man den Salat. Das zufriedene Leben, das man bisher mit seinen Hunden geführt hat, gilt plötzlich als fehlerhaft, weil es einfach nicht zu den Anprüchen passt, die heutzutage an Hunde und ihre Menschen von außen gestellt werden.

Gehen wir mal von Hunden weg und denken an unsere Schulzeit. Wer Kinder hat, erlebt solche Dinge akutell. Ganz einfaches Beispiel: in der Grundschule wird ein Diktat von 100 Wörtern geschrieben und in 10 davon ist irgend ein Fehler, z.B. „das“ anstatt „dass“, oder „siht“ anstelle von „sieht“. Sicher, das sollte irgendwann klappen, aber: entstellen solche Fehler einen Text so sehr, daß er unverständlich wird? Vor allem: 10% sind fehlerhaft, 90% richtig und trotzdem gibt es vielleicht ein „befriedigend“, evtl. sogar nur ein „ausreichend“, also eine 3 oder 4. Wie gesagt: der Text ist verständlich und 90 % sind richtig und 90% sind doch ein Haufen Zeug. Um wieder zu den Hunden zurückzukehren: wenn Sie mit Ihrer Pelznase den Rückruf trainieren und bei 90 % klappts, dann ist das großartig und wir feiern das als großen Erfolg.

Und jetzt wieder ein Beispiel aus der Schule: Viele Menschen meinen, Notenschwankungen gäbe es nur in Fächern wie Deutsch oder Kunst, da hier sehr viel subjektiv bewertet wird. Bei Mathe ginge das gar nicht. Doch, es geht: der eine Lehrer legt großen Wert auf den richtigen Weg, der andere sagt: Hauptsache, das richtige Ergebnis kommt raus. Der nächste will alles haargenau so, wie er es machen würde, der nächste legt Wert darauf, daß die Schüler eigene Wege finden…… Das Ende vom Lied ist: wir sind ständig bemühlt, Fehler zu vermeiden, die von anderen als Fehler definiert wurden, anstatt zu versuchen, die für uns richtigen und einfachen Wege zu gehen. Und das kostet ordentlich Energie, die man ganz woanders brauchen könnte. Das wird in der Schule gründlich konditioniert, in der Berufsausbildung verfestigt und in der Arbeitswelt häufig regelrecht zur Perversion getrieben. Beispiel aus meiner Arbeitswelt: Als Druckingenieur war ich in einer Firma zuständig für die Papierbestellung. Es handelte sich um eine Volumen von ca. 1 Million DM pro Jahr. In 3 Jahren habe ich einmal eine falsche Bestellung vorgenommen, das Papier konnte anderweitig verwendet werden und wir konnten rechtzeitig das richtige nachbestellen. Als ich meinen Chef davon informierte, dachte ich, er reißt mir den Kopf ab. Wie gesagt: 1 x in 3 Jahren bei einem Volumen von 1 Million DM pro Jahr.  Mal ganz ehrlich: da fragt man sich doch, ob im Oberstübchen noch wer zu Hause ist, oder?

Und jetzt zurück zu den Hunden: Anstatt darauf zu achten, was Hunde richtig machen, suchen wir ständig nach Fehlern und machen ihnen damit das Leben unnötig schwer. Das kann sich so äußern:
Hund wird abgerufen, wenn er da ist, wird er weder gelobt noch belohnt. Und warum? Er kam nicht schnell genug, er hat unterwegs geschnüffelt, er sitzt nicht vor…………… MannMannMann…. Anstatt nachzudenken, warum er das jetzt so gemacht hat und wie wir das gemeinsam nächstes Mal besser hinkriegen, bekommt der Hund den Fehler zugeschoben. Und Mensch wundert sich, warum es einfach immer schlechter wird, bis Bello gar nicht mehr kommt und auch keine Lust auf irgendeine Form von Zusammenarbeit hat. Oder ein ganz extremer Fall: „Lob deinen Hund, er hat doch alles ganz toll gemacht!“ „Ja, aber gestern…. und was, wenn er es morgen nicht macht?“ Glauben Sie ja nicht, daß ich mir das aus den Fingern sauge. Das sind alles Beispiele aus meinem Alltag.

Oder: Hund wird abgerufen, kommt auch freudig, setzt sich aber nicht hin. Schon geht die Diskussion los: „sitz hab ich gesagt!“.  Und wieder wird er nicht belohnt und schon gar nicht gelobt. Hat sich ja nicht hingesetzt. Das ist wie bei 90% richtig und 10% falsch, wobei falsch auch hier eine Interpretationssache ist, oder? Schließlich ist es gar nicht notwendig, daß er sitzt. Die Anweisung lautete: komm zu mir. Und wenn ich einfach beschließe, es reicht, wenn Bello kommt und sich kurz bei mir meldet? Dann muß er sich gar nicht hinsetzen und plötzlich geht das alles viel einfacher und besser. Und: die Fehlerquelle ist weg. Hat sich einfach in Luft aufgelöst.

Bei allen Ansprüchen, die man an seine Hunde stellt, sollte man immer mal überlegen, wo sie herkommen, ob sie tatsächlich sinnvoll sind für mich und meinen Hund, ob wir nicht besser anders klar kommen und ob mein Hund das alles so braucht. Wenn mein Nachbar ein wilder Verfechter des absoluten Gehorsams ist und mich und meine Pelznase permanent kritisiert, weil meiner Süßer eben nicht wie eine Maschine beim Spaziergang perfekt „bei Fuß“ läuft, sondern wie jeder normale Hund mal hier mal da schnüffelt, dann ist das doch nicht unser Fehler sondern sein Problem und leider auch das seines Hundes.

Denn ein wichtiger Punkt bei dieser ständigen Suche nach Fehlern, die man vermeiden muß, ist: wer legt denn fest, was falsch ist und was richtig? Wenn ich gerne Spaghetti mit Tomatensoße esse, ist es dann falsch, wenn mein Nachbar lieber Schnitzel mit Bratkartoffeln mag? Wenn mein Mann zum Frühstück Kaffee trinkt, ist es dann falsch, wenn ich grünen Tee mag? Wenn der eine Hund ein begeisterter Mantrailer ist, ist dann der andere ein Versager, wenn er lieber Couchpotato spielt?

Wir akzeptieren automatisch, daß andere für uns Richtlinien aufstellen und festlegen, was richtig und was falsch ist und halten uns daran. Ohne zu überprüfen, ob das für uns – und unsere Hunde – stimmt. Einem Hund würde das nie einfallen, daß er uns mit Maßstäben mißt, die andere Hunde aufgestellt haben. Es ist einfach unfair, solche Anprüche an unsere vierbeinigen Freunden zu stellen: ich möchte alles richtig machen und du mußt da mit, egal ob es für dich gut ist und egal, ob du das kannst oder möchtest.

Kleiner Tipp zum Schluß: man kann wunderbar den aufrechten Gang und freundliches Selbstvertrauen üben, wenn man sich von „richtig und falsch“ verabschiedet und für sich und seinen Hund seinen eigenen Weg sucht. Und wenn man dann noch in der Lage ist, irgendwelchen angeblichen Spezialisten und Experten freundlich mitzuteilen „du hast recht und ich meine Ruhe“, dann ist man auf dem besten Weg, die Fehlergesellschaft zu verlassen. Deshalb macht man immer noch nicht alles richtig, aber wer kann das schon?

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