Es gibt jede Menge Hunde, wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit, die mit Strafe erzogen werden. Das Ergebnis ist ein mehr oder weniger gehorsamer Hund, mehr wenn der Besitzer oder der Trainer in der Lage ist, die Strafe richtig einzusetzen, weniger, wenn er das eben nicht kann. Bei Strafeinwirkung ist die richtige Dosierung, der richtige Moment und die richtige Strafe noch viel entscheidender, als bei Erziehung über positive Motivation. Positive Motivation bedeutet aber garantiert nicht: ich füge meinem Hund etwas unangenehmes zu und wenn er das unerwünschte Verhalten dadurch unterlässt, gebe ich ihm ein Leckerli. Einen Hund positiv zu motivieren heißt: für erwünschtes Verhalten wird eine Belohnung in Aussicht gestellt, die der Hund bekommt, wenn er das richtige macht. Die höchste Motivation ist das, was der Hund jetzt gerade am liebsten möchte, und wenn das nicht geht, etwas anderes sehr begehrtes. Und positive Motivation heißt auch und vor allem: die gestellte Aufgabe ist sinnvoll und interessant, ist für den Hund leicht zu erlernen, wird ihm gut und richtig erklärt und das motiviert ihn enorm zur Zusammen- und Mtarbeit. Denn Hunde sind per se an Zusammenarbeit mit uns interessiert.
Was bedeutet es nun tatsächlich, wenn man über Strafe arbeitet?
„Strafe wird als negative Erfahrung beschrieben, welche die Häufigkeit des Auftretens eines Verhaltens vermindert.“ (Dorothée Schneider, Die Welt in seinem Kopf)
Eine negative Erfahrung kann individuell sehr unterschiedlich sein. Ein sensibler Hund kann schon durch den schiefen Blick seines Menschen durcheinander geraten, aber es gibt beispielsweise extrem jagdtriebige Hunde, die trotz Einsatz eines Stromreizgerätes (Teletackt) auf höchster Stufe mit Feuereifer hinter einem Reh oder Hasen herjagen. Wie Ihr Hund auf eine Strafe reagiert, wissen Sie erst, wenn Sie ihn bestraft haben.
Folgende Möglichkeiten haben Sie, wenn Sie Ihren Hund mit Strafe erziehen wollen:
– Leinenruck
– Nackenschütteln
– schlagen, treten, würgen
– Einsatz von Ketten- und Stachelwürgern
– Sprühhalsband
– Teletackt
– Isolierung, Vereinsamung
– psychische Verunsicherung……
Wie das alles funktioniert, soll hier nicht erklärt werden. Sie sollen nicht lernen, Ihren Hund zu bestrafen, sondern verstehen, warum ich Strafe im Umgang mit lebenden Wesen ablehne. Allerdings möchte ich auf die Punkte richtige Dosierung, richtiger Moment und richtige Strafe näher eingehen und die Nebenwirkungen für Ihren Hund und Sie besprechen.
Beispiel: Ihr Hund ist ein überschwenglicher Menschenfreund. Immer wenn er jemanden sieht, egal ob er ihn kennt oder nicht, freut er sich ein Bein ab und zieht hin wie verrückt. Das ist aber nicht jedermanns Sache, denn manche Menschen mögen keine Hundehaare auf den Kleidern oder sie mögen auch keine Hunde. Und das ist ihr gutes Recht. Also nehmen Sie z.B. einen Kettenwürger, an dem Sie jedesmal rucken, wenn Sie mit Ihrem Bello in eine derartige Situation kommen. Dazu sagen Sie immer laut und unfreundlich: pfui ist das! Ihr Hund kann das jetzt so interpretieren: Immer wenn ein Mensch, den ich eigentlich nett finde, entgegenkommt, wird mein Mensch unfreundlich (pfui ist das) und tut mir außerdem weh. Je nachdem, was Sie für einen Hund haben, kann sich das auf Dauer auswirken wie folgt:
1. Bello bekommt Angst vor entgegenkommenden Menschen und will auf gar keinen Fall vorbeigehen.
2. Bello blickt zwar nicht durch und ist auch verunsichert, aber er merkt, daß Sie nicht wollen, daß er da hingeht.
3. Bello gibt dem entgegenkommenden Menschen die Schuld, daß Sie so unfreundlich werden oder denkt, Sie haben Angst vor ihm und will ihn verjagen, also fängt er an in die Leine zu springen und zu bellen: hau ab da!
4. Bello ignoriert das alles und Sie greifen solange zu härteren Maßnahmen, bis es endlich funktioniert.
Im ersten Fall bekommen Sie einen ängstlichen, unsicheren Hund, der sich nichts mehr zutraut, im zweiten einen verunsicherten, der aus Angst folgt, im dritten einen angstaggressiven und im vierten können Sie sich überraschen lassen, wie er Ihre Strafaktionen irgendwann beantwortet. Sicher nicht mit wachsender Menschenliebe.
Erinnern Sie sich bitte an die Definition, die am Anfang steht. Sie möchten Ihren Hund dazu bringen, daß er etwas nicht mehr tut, wenn er es trotzdem tut, bestrafen Sie ihn. Strafe, wenn sie wirksam ist, hat aber den biologischen Sinn, daß der Hund entweder aus dieser Situation flieht oder sie in Zukunft meidet. Ein wirkliches Alternativverhalten lernt er dadurch nicht. Denn ein alternatives Verhalten wäre in unserem Beispiel, das was Sie sich wünschen: er geht an Menschen ruhig vorbei.
Im zweiten Fall können Sie davon ausgehen, daß Sie im richtigen Moment die richtige Dosierung angewendet haben und auch die Art der Strafe war richtig. Was aber passiert, wenn Sie beim nächsten Menschen vorbei gehen, einen Moment nicht aufpassen und Bello hechtet wieder hin, ohne daß Sie an der Leine geruckt haben? Dann hatten Sie ein Problem mit dem Timing und Bello Erfolg. Wenn das mehrfach hin und her geht, haben Sie bei einem Hund, der hart im Nehmen ist, ein echtes Problem, Sie haben ihn dann nämlich variabel bestärkt und das ist die beste Belohnung, die es geben kann. Sonst würden nicht so viele Menschen Lotto spielen. Ihr Hund lernt evtl. sogar zu erkennen, wann Sie aufpassen und wann nicht. Unabsichtlich haben Sie somit seine Intelligenz geschult, aber das was Sie ihm beibringen wollten, hat er nicht gelernt.
Wenn Sie einen eher feinfühligen Hund haben, dann wird der sehr verunsichert sein und nach dem System suchen, das diesen schmerzhaften Leinenruck und den unfreundlichen Ton auslöst. Und schon haben Sie die schönsten Fehlverknüpfungen, die bei manchen Hunden bereits nach der ersten Anwendung einer Strafe auftreten können: z.B. ist im gleichen Moment ein Kind vorbei geradelt, eine Mutter hat ihr Baby, das gerade schreit, vorbei geschoben, ein Flugzeug erschien am Himmel….. Und aus Gründen, die Sie überhaupt nicht nachvollziehen können, ist Ihr Hund in Zukunft beim Anblick eines Kindes auf dem Fahrrad, einer Frau mit Kinderwagen, wenn ein Kind schreit oder bei jedem Brummgeräusch je nach dem ängstlich oder aggressiv oder beides. Es kann Ihnen passieren, daß er, vor lauter Angst wieder bestraft zu werden, in solchen Fällen alle Tätigkeiten einstellt. Vielleicht wird er aber auch richtig aggressiv gegenüber jedem, der von vorn kommt. Denn in seinen Augen ist der von vorn kommende derjenige, der den Ganzen Stress auslöst.
Sie wollten aber einen Hund, der ruhig an Passanten vorbeigeht.
Wenn Sie sich überlegen, daß meine freundlichen Methoden nicht so toll funktionieren und ja viel zu lange dauern und Sie doch einmal Strafen austesten möchten, dann sollten Sie sich vorher folgende Fragen stellen:
Bin ich in der Lage, immer sofort zu Beginn des unerwünschten Verhaltens strafend einzuwirken, also genau in dem Moment, in dem mein Hund auch nur daran denkt, jetzt sofort etwas Unerwünschtes zu tun?
Bin ich in der Lage, ungewollte Fehlverknüpfungen der Strafe mit allen vorhandenen Umweltreizen auszuschließen und ihnen auch künftig auszuweichen?
Bin ich in der Lage, meinen Hund zukünftig lückenlos zu überwachen und jedes unerwünschte Verhalten immer im richtigen Moment und in der richtigen Dosierung zu bestrafen?
Ich kann für mich diese Fragen im besten Fall mit „zu 50%“ beantworten, und vermutlich bin ich genauso wenig wie Sie in der Lage meinen Hund lückenlos zu überwachen. Wenn Sie aber mit Strafe arbeiten wollen, dann müssen alle Voraussetzungen erfüllt sein, nicht nur eine oder zwei, sondern ALLE!
Strafe erzeugt Stress, und Stress mindert die Denk- und Leistungsfähigkeit. Die Energie, die Ihr Hund braucht, um sich auf die Vermeidung der Strafe zu konzentrieren, fehlt ihm bei der Bewältigung der gestellten Aufgabe. Und Stress im Hundetraining fördert mit Sicherheit auch nicht die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Hund.
Außerdem sollten Sie sich überlegen, ob es ethisch vertretbar ist, ein anvertrautes Lebewesen so zu behandeln, daß Negativfolgen eigentlich unabwendbar sind. Wenn Sie ein unerwünschtes Verhalten ändern wollen, dann Sie müssen genauso auf Ihren Hund aufpassen und auf zu erwartende Reaktionen gefaßt sein, aber Sie gehen freundlich mit ihm um, Sie achten auf das, was er richtig macht und suchen nicht nach Fehlern, Sie zeigen ihm gegebenenfalls einen Ausweg und zum Schluß können Sie ihn belohnen. Sie können sicher sein, daß Sie sich dann selber wesentlich besser und glücklicher fühlen, wenn Bello und Sie z.B. oben beschriebene Situation positiv gemeistert haben.
Leider leben wir in einer Welt, in der wir immer bevorzugt die Fehler beachten und diese dann korrigieren. Zumindest versuchen wir es. Das wird Thema eines anderen Artikels sein. Aber überlegen Sie doch mal: könnte es nicht einfacher – und angenehmer – sein, mehr auf das achten, was Ihr Hund richtig macht? Als nur darauf zu achten, was er falsch macht und ihn dann dafür zu bestrafen?
von Ute Rott – Forsthaus Metzelthin
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