Mittlerweile ist es gang und gäbe, dass Welpen mit 8 Wochen abgegeben werden. Warum ist das keine so gute Idee?
1. Welpen erlernen die Beisshemmung zwischen der 7. und 10. Woche. Wenn sie das an ihresgleichen, also mit ihren Geschwistern einüben, erledigt sich das relativ schnell und problemlos.
2. In der 9. Woche kommen Welpen in die erste Fremdelphase. Hunde haben mindestens vier, wahrscheinlich fünf Fremdelphasen. Die erste ist mit 9 Wochen und dauert ca. eine Woche. Fremdelphase bedeutet: nach einer Zeit der erhöhten Erkundungsbereitschaft wird eine Pause eingelegt, in der der Welpe das Erlernte verarbeitet und mehr zur Vorsicht neigt – nach dem Motto: es ist besser eine Mahlzeit zu versäumen, als selber eine zu werden.
3. Ältere Welpen von 11 oder 12 Wochen sind so gut wie stubenrein. Gerade für Ersthundebesitzer ist das ein wichtiger Punkt, da sie noch nicht die Erfahrung haben, dass wirklich jeder Welpe stubenrein wird, auch wenn man keinen Wirbel macht und ein paar einfache Regeln einhält.
4. Bis zur 12. Woche lernen Hunde wichtige Regeln des hundlichen Sozialverhaltens und die Hundesprache. Werden sie zu früh von ihrer Mutter und ihren Geschwistern getrennt, ist es fast unmöglich, dieses Manko gut zu machen – außer man hat einen freundlichen, erwachsenen Hund im selben Haushalt, der bereit ist, das Hundekind zu adoptieren und zu erziehen.
Argumente für eine Abgabe mit 8 Wochen gibt es auch. Da sehen wir uns jetzt mal zwei genauer an:
1. Der Hund kann so schneller eine bessere Bindung aufbauen.
Das würde bedeuten, dass ein Hund, der bei uns später einzieht, z.B. ein älterer Hund aus dem Tierschutz keine Bindung mehr aufbauen kann, also auch nicht mehr in die Familie integriert werden kann. Das kann niemand ernsthaft behaupten, da es Millionen Beispiele gibt, die das widerlegen.
2. Es ist vom Gesetzgeber erlaubt, wenn es für die Welpen schädlich wäre, wäre es auch nicht erlaubt.
– Es ist vom Gesetzgeber auch erlaubt, seinen Hund am Halsband zu führen, obwohl das nachweislich ungesund ist
– es ist erlaubt, ihn mit Industriefutter zu füttern, obwohl das gesundheitliche Probleme nach sich zieht
– es ist erlaubt, einen Hund an einer Laufkette zu halten, so lange er genügend Auslauf hat, was aber selten kontrolliert wird.
Es ist sehr viel erlaubt in der Tierhaltung, das für die Tiere selber alles andere als gut ist. Wir wissen auch nicht, wer das warum so festgelegt hat. Aber es bedeutet nicht unbedingt, dass man sich daran halten muß. Denn es ist nicht verboten, einen Hund erst mit 11, 12 Wochen abzugeben.
3. Der Welpenkäufer sehnt sich so sehr nach seinem neuen Freund, dass er es kaum erwarten kann. Das ist nachvollziehbar, aber: wenn alles gut geht, wird ein Hund 10 – 15 Jahre alt. Er lebt also eine lange, lange Zeit bei uns. Kommt es da wirklich auf ein paar wenige Wochen, nämlich 3-4 an, die wir länger warten müssen? Ein einsichtiger Züchter wird immer erlauben, dass wir unser Hundekind besuchen dürfen und uns auch mit Fotos beglücken, die Wartezeit versüßen.
Die Argumentation für eine frühe Abgabe steht also auf wackligen Füßen. Was spricht für eine spätere Abgabe, z.B. mit 11 oder 12 Wochen?
Viele Menschen – auch Züchter – haben keine Ahnung, dass Hunde Fremdelphasen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass gerade Ersthundebesitzer mit einem Welpen in der ersten Fremdelphase total überfordert sind, ihm zu viel Neues zumuten und seine Vorsicht vollkommen falsch interpretieren, ist sehr groß. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass in dieser wichtigen Phase, in der Welpe einfach Ruhe und Sicherheit braucht, Unsicherheit und Fehlverhalten vorprogrammiert werden und damit hat man dann lebenslang zu kämpfen. Die Hundemutter macht in der Regel alles richtig, sie weiß, dass sie einfach ein bisschen auf ihre Kinder achten muß, und ist da, wenn sie Zuwendung und Sicherheit brauchen.
Gerade das Thema „Stubenreinheit“ ist für viele Welpenbesitzer ein großes Thema. Wer hat schon wirklich Lust, ständig nachts aufzustehen, damit der Kleine nicht reinmacht? Und wer findet es lustig, pausenlos darauf zu achten, dass nicht wieder ein Malheur passiert? Es ist nicht förderlich für die Beziehung, wenn jemand großen Wert auf Sauberkeit legt – und das ist erlaubt! – und so ein kleiner Hund hinterläßt einfach immer wieder mal ein Pfützchen oder Häufchen in der Wohnung. Man glaubt nicht, wie oft das ein Grund zur Abgabe sein kann. Und es hat keinen Sinn auf solche Menschen zu schimpfen, wenn sich das Problem mit einer späteren Abgabe, bei der das Problem enorm reduziert wird, lösen läßt. Natürlich kann das auch noch bei einem 12-Wochen alten Welpen sein, dass er nachts raus muß oder ein kleines Malheur passiert. Aber zum einem ist so gut wieder jeder Welpe spätestens mit 14, 15 Wochen stubenrein. Zum andern achten Züchter, die ihre Welpen sehr sorgfältig aufziehen, von Anfang an darauf, dass die Hunde an bestimmten Plätze in der Wurfkiste ein „Hundeklo“ haben Das vereinfacht vieles und je älter der Welpe ist, um so besser hat er das auch verinnerlicht.
Bis zum Alter von 11, 12 Wochen brauchen Hunde ihre Mama noch sehr. Sie werden nach der 1. Fremdelphase zunehmend selbständiger, sind also bereit für was Neues, z.B. auch für einen Wechsel in ein neues Heim. Bis zur nächsten Fremdelphase mit ca. 16 – 18 Wochen ist noch ein bisschen Zeit und das Hundekind ist wieder mutig und neugierig. Hunde, die mit 8 oder 9 Wochen in ihr neues Heim und womöglich auch gleich in die Hundeschule kommen, können eigentlich noch gar nichts lernen. Sie sind so beschäftigt mit dem Erfassen von diesem ganzen Wust, der auf sie einstürzt, dass sie überhaupt keinen Kopf für den Rückruf, Leinenführigkeit oder was auch immer haben. Mit Hundebegegnungen sind sie komplett überfordert, weil auch die Menschen oft nicht wissen, wie sie sich verhalten müssen. Mit 11 oder 12 Wochen sind sie schon deutlich selbstsicherer und mutiger, aber auch etwas risikobewußter, da sie ja die erste Fremdelphase schon erfolgreich hinter sich gebracht haben.
Welpen, die zu früh abgegeben wurden, benehmen sich oft wie Piranhas: sie hacken in alles und jeden ihre messerspitzen Zähnchen – HundetrainerInnen können viele Narben an Armen und Beinen aufweisen und Welpenbesitzer auch. Sie wollen auch so gut wie nichts unternehmen: nicht spazierengehen, nicht spielen, nicht neue Menschen kennen lernen – weil alles zu viel ist. Der Grund: gnadenlose Überforderung. Und weil viele Menschen die zarten Signale des überforderten Hundekindes nicht erkennen, machen sie mit ihren Aktivitäten so lange weiter, bis dem Welpen nichts anderes übrig bleibt, als zuzubeißen. Was viele daraus folgern: ich habe einen aggressiven Hund erwischt – wie soll das erst werden, wenn er erwachsen wird. Die Lösung: reduziert euer Programm um ca. 90% und – Überraschung! -, die Beisserei hört auf.
Auch wer zu früh mit Grundgehorsamstraining beginnt, hat ganz schnell ein Problem. Denn der kleine Hund ist noch viel zu viel beschäftigt mit allem anderen. Ein freundliches Abrufen, das mit viel Lob und Leckerchen belohnt wird, kurze Erkundungen der näheren Umgebung im Welpentempo mit Brustgeschirr und genügend langer Leine – das reicht für den Anfang vollkommen.
Der erste Besuch der Hundeschule zu einem Kennenlerngespräch kann nach einer Eingewöhungswoche vereinbart werden, der Beginn der Trainings sollte nicht vor der 12. Woche sein. Einzeltraining ist Gruppentraining immer vorzuziehen.
Macht euch nicht verrückt, genießt die Zeit, in der eure Pelznase so niedlich und putzig ist. Genießt es, wenn er an euch gekuschelt mit großen Augen etwas Neues beobachtet, mit vorgerecktem Hals und zur Flucht bereitem Popo was Unbekanntes erkundet und sich mit euch zur Sicherheit im Rücken immer mehr traut und immer mehr entspannt, erkundet und entdeckt die Welt mit ihm – es gibt wenig Zeiten im Leben mit einem Hund, in dem man inniger und enger zusammen lebt. Lasst euch keinen Unfug über mangelde Bindung einreden, nur weil euer Kleiner auch mal ohne euch klar kommt – und lasst ihm viel Zeit, damit seine Kinderzeit eine glückliche ist.
Ein Kommentar zu Warum Welpen ihre Hundefamilie brauchen