Ein langjähriger Kunde hat mir voller Entsetzen erzählt, dass sich seine Tochter und ihr Freund einen Hund gekauft haben – einen Welpen einer sehr seltenen und anspruchsvollen Rasse. Die beiden haben überhaupt keine Erfahrung mit Hunden und haben sich in das Aussehen dieser Rasse verliebt. Die Tatsache, dass nicht „jedermann“ so einen Hund hat, spielt vielleicht auch eine gewisse Rolle. Was meinen Kunden aber meisten aufregt, ist die Tatsache, dass der kleine Kerl zwar erst zwei Wochen bei den beiden wohnt, aber schon ein Programm absolvieren muß, dass es nur so raucht: Hundeschule, Gehorsamsübungen, täglicher Besuch zum Gewöhnen an Menschen, Spaziergänge, Tierarzt….. Dass der kleine Hund schon ein Problem hat, er fürchtet sich nämlich vor Männern, das interessiert anscheinend nicht so sehr. Was dafür viel, viel wichtiger ist: er soll von Anfang an lernen, dass er ganz hinten in der Hierarchie steht.
Wenn ich sowas höre, komme ich ins Grübeln. Hierarchie, ein tolles Wort, bei dem sofort Bilder in meinem Kopf auftauchen. Ich sehe eine große Gemeinschaft vor mir, bei der jeder eine gewisse Funktion erfüllen soll und in der klar sein muß, wer was wann zu sagen hat. Beispielsweise sollte der, der den besten Überblick über die Finanzen hat, auch wissen, was wann für die Gemeinschaft gekauft werden kann oder eben nicht. Oder der, der handwerklich am geschicktesten ist, sollte einen Überblick über notwendige Reperaturen am Haus haben. Vielleicht gibt es auch jemanden, der sozial sehr kompetent ist und deshalb Streitigkeiten schlichtet und auch mal Entscheidungen treffen kann, die alle angehen. Und jeder ist in seinem Bereich ganz oben in der Hierarchie, weil die anderen auf ihn hören. Freiwillig.
Was diesem kleinen Hund passiert, ist folgendes. Er wird von seiner Mama weggeholt, obwohl er die eigentlich noch dringend braucht, er war nämlich noch nicht mal 10 Wochen alt. Naiv und freundlich wie Hunde nun mal sind, vertraut er darauf, dass die zwei Menschen, bei denen er jetzt einzieht, seine Mama ersetzen und ihm freundlich, behutsam und in kleinen Schritten die Welt zeigen und erklären. Hat er ja auch recht. Und jetzt fangen die an, machen von der ersten Minuten an Action ohne Ende und achten haargenau darauf, dass der Kleine sich nicht irgendwas anmaßt, was ihm nicht zusteht. Keine Ahnung was das sein könnte, vielleicht hätte er lieber anderes Futter oder mehr Ruhe oder weniger Besuch oder oder oder…. Welpen maßen sich nichts an, die haben Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Eins davon ist, dass sie von uns als Elternersatz erwarten, dass wir ihnen die Welt zeigen.
Anscheinend klappt ja schon mal nicht, dass man ihm freundliche Männer nahebringt, die einfach nur nett sind und ihm klar machen, dass er sich nicht zu fürchten braucht. Dafür ist jeder Besucher angewiesen, ihm Leckerchen anzubieten – was auch immer das bringen soll. Dann zeigt der Winzling bereits zwei Wochen nach seinem Einzug schwere Stresssymptome – die werden nicht erkannt, also wird auch sein Bedürfnis nach Ruhe nicht befriedigt. Natürlich gibts auch das beste Trockenfutter der Welt, das der Züchter empfohlen hat – also wird er auch nicht vernünftig ernährt.
Aber wehe, wehe, er versucht sich in der Hierarchie nach oben zu kämpfen! Das geht gar nicht.
In welcher Hierarchie eigentlich? Es sollte ja nicht so schwer sein, 2 Menschen und 1 Hund unter einen Hut zu bringen. Muß man da irgendwelche „Hierarchien“ ganz oben auf die Prioritätenliste setzen? Und warum „kämpfen“? Geht der jetzt mit Zähnen und Klauen bei jeder Gelegenheit auf alles los, was nicht bei drei auf dem Baum ist? Ein Welpe von ca. 11 Wochen?
Bei uns lebt ein alter Hund, unser Teilzeithund Anton. Seit knapp drei Jahren ist er immer bei uns, wenn sein Halter keine Zeit hat, das ist an ungefähr 25 von 30 Tagen im Monat der Fall. Mindestens. Für seinen Halter war es auch immer enorm wichtig, dass er der Herr und Anton der Hund ist – was anscheinend schon alles aussagt. Hund ist auf alle Fälle und irgendwie einfach weniger wert. Jetzt ist Anton alt und zur Zeit sehr krank – und es droht die Gefahr, dass Anton uns für immer verläßt. Es hat sich in den letzten drei Jahren viel geändert im Verhältnis der beiden sehr zugunsten von Anton. Und was jetzt passiert, wenn die Gefahr des Abschieds so bedrohlich wird, das kann man sich kaum ausmalen.
Sein Halter ist verzweifelt, unglücklich, wird vom schlechten Gewissen und Selbstvorwürfen geplagt, er ruft jeden Tag an, wenn er nicht selber vorbei kommt, bei ihm sitzt und ihn streichelt….. da ist nicht mehr viel übrig von: du bist der Hund und ich der Herr.
Liebe Freunde von Hierarchie und Dominanz und anderen merkwürdigen Vorstellungen, denkt gut nach, vor ihr eurem Hund beibringt, dass er das allerletzte ist. Ihr holt euch ein Hundekind ins Haus, das keine Ahnung hat, warum ausgechnet auf es eure Wahl gefallen ist. Von seiner Exklusivität hat es keinen blassen Schimmer, auch nicht von euren Ideen von Hierarchie. Dieses Hundekind will versorgt werden, es möchte mit und durch euch die Welt in langsamem Tempo erobern, so dass er lernt euch zu vertrauen und mit euch eine lebenslange Partnerschaft einzugehen. Partner kennen keine Hierarchien, für sie ist das wichtigste die liebevolle Beziehung, die vertrauensvolle Hingabe, die Freundschaft und Liebe, die sie für einander empfinden. Wenn euer exotischer Hund erst unter der Erde liegt, ist es für eure Reue zu spät.
Ein Kommentar zu …ganz unten in der Hierarchie….