Warum fairer Umgang mit Hunden den Umgang mit Menschen fairer macht

Jahr: 2000
Ort: ein Hundeplatz in Oberbayern
Teilnehmer: meine Wenigkeit und ca. 8 Menschen mit ihren Hunden
Ich soll diese Menschen und ihre Hunde auf die VDH-Begleithundeprüfung vorbereiten. So wie ich es gelernt habe, marschieren die Menschen mit ihren Hunden stramm militärisch hintereinander her, die Hunde laufen links, exakt links bitte schön und jedes Abweichen muß sofort per Leinenruck korrigiert werden. Wenn die Hunde ihre Menschen ansehen, wird dies mit einem Leckerchen und Lob belohnt, wenn sie „Blödsinn“ machen, z.B. pinkeln wollen (strengstens verboten), dann gibts einen Leinenruck am Kettenwürger. Sowie die Menschen stehen bleiben, müssen die Hunde sofort sitzen und zwar exakt am linken Bein und gerade, wenn nicht, muß das sofort korrigiert werden.
Eigentlich finde ich das furchtbar, aber ich weiß nicht so recht, wie ich es anders machen soll. Ich bin unfreundlich zu den Menschen, sie gehen mir auf die Nerven, weil sie nichts verstehen. Sie rucken zu viel oder zu wenig, zu früh oder zu spät, sie sind selber abgelenkt und führen meine Anweisungen nicht prompt genug aus. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das lauter Idioten sind und so behandle ich sie auch.
Sie sind alle weg und ich hole Fritzi, meinen jungen Kromirüden aus dem Auto, in dem er seit 2 Stunden wartet. Sofort geht es auf den Hundeplatz: sitz, platz, fuß, bleib, sitz, platz, fuß, bleib. Wehe, er macht irgendwas nicht so, wie ich es mir vorstelle – der ganze Frust vom Training vorher entlädt sich auf den kleinen Hund.

Szenenwechsel:
gleiches Jahr
Teilnehmer: meine Wenigkeit, der Fritzi, beliebige Spaziergänger mit ihren Hunden
Ort: irgendwo in Oberbayern
Wir gehen spazieren, der Fritzi und ich. Unterwegs üben wir viel: sitz und platz aus der Bewegung, herankommem mit Vorsitzen, bei-Fuß-gehen, eine Bleib-Übung an der Straße…. in ein paar Wochen gehe ich auf ein Turnier, da muß das sitzen.
Mein Hals ist die ganze Zeit ausgefahren wie ein Teleskop, damit ich ja nicht übersehe, wenn mir Menschen mit Hunden entgegen kommen. Der Fritzi pariert aufs Wort, aber die anderen sind echt alles Idioten. Sie nehmen ihre Hunde nicht an die Leine, sie kapieren nicht, dass man den Hund links führen muß, sie lassen die Leinen zu locker…. wer hat diesen Vollpfosten eigentlich erlaubt, sich einen Hund zuzulegen? Wenn mein Gegenüber irgendwas falsch macht und sein Hund kommt dem Fritzi zu nahe, rastet der komplett aus. Natürlich denkt der Depp, dass er alles richtig gemacht hat und es gibt einen Riesenstreit.
Verdammt! Auch dieser Spaziergang ging in die Hosen!

Szenenwechsel:
Jahr: 2018 im Frühjahr
Teilnehmer: mein Mann, meine Wenigkeit 18 Jahre älter, unsere Hunde Indiana und Maxl, unser Teilzeithund Anton, ein Passant mit Hund, ein Autofahrer, ein Dackelchen und sein Herrchen am Gartenzaun
Ort: Metzelthin in der Uckermark


Zwei Wochen war es richtig gruselig kalt, heute machen wir den ersten, warmen, sonnigen Frühlingsspaziergang. Wir fahren zu der großen Weide, wo ich Indiana und Maxl über weite Strecken frei laufen lassen kann. Mein Mann und der alte Anton kommen ein Stückchen mit und drehen dann um. Sie gehen zum Auto zurück, fahren ins Dorf um etwas zu erledigen und warten dann am vereinbarten Treffpunkt.


Wir drei gehen eine große Runde und finden eine ganze Menge interessante Sachen: einen neuen Dachsbau, die Wühlstellen der Wildschweine, das Gestrüpp am See, ein bißchen planlos laufen wir über die Wiese und gehen dahin, wo die Hunde es wichtig finden.

Dann überqueren wir die Straße zwischen Klosterwalde und Metzelthin und erkunden ein neues Stück Wiese, wo wir noch nie waren – superspannend. In einem großen Bogen gehen wir zur Straße zurück und laufen Richtung Dorf zum Treffpunkt. Soll ich die Hunde lieber kurz nehmen? Ach was, ich werd schon hören, wenn ein Auto kommt.
Die Hunde schnüffeln mal links, mal rechts, das ist ewig her, dass wir hier gelaufen sind. Indiana hebt den Kopf und schaut aufmerksam die Straße runter: ein Auto kommt. Wir gehen auf die Seite und lassen das Auto vorbei. Freundlich lacht der Fahrer meine Süßen an und ich bin sehr stolz auf die beiden.
Von vorne kommt ein Mann mit einem kleinen Hund. Ich hole meine beiden zu mir, wir weichen ein wenig in den Wald aus. Der kleine Hund fürchtet sich, logisch er ist klein und allein und meine zu zweit. Aber wir halten schön Abstand und meine Lieblinge sind ruhig und friedlich. Der Mann bleibt stehen und wir unterhalten uns ein bisschen über den schönen, warmen Tag und den kommenden Frühling und wie schön es ist, dass man wieder so entspannt laufen kann….
Am Treffpunkt ist mein Mann noch nicht da, also gehen wir an den Zaun vom nächsten Anwesen, weil da ein kleines Dackelmädchen wohnt, die sich immer so freut, wenn meine zwei „Hallo“ sagen. Ihr Herrchen kommt auch an den Zaun. Ein paar Minuten unterhalten wir uns, dann kommt mein Mann, wir steigen ein und fahren heim.
Das war ein richtig schöner, entspannter Spaziergang.

Ganz schöner Unterschied, findet ihr das auch?

Seit fast 40 Jahren habe ich Hunde und immer kam ich mit Menschen und Hunden gut klar, bis ich auf Anregung einer Bekannten vor knapp 20 Jahren in einen Hundeverein ging. Das Opfer dieses Vereins war vor allem mein Fritzi, der nach „erfolgreichem“ Training angstaggressiv war. „sitz, platz, fuß, bleib“ beherrschte er im Schlaf, das wars aber dann auch. Wehe, wir trafen einen Hund! Beschwichtigungssignale? So ein Quatsch, das gibts gar nicht. Stress? Hunde haben keinen Stress.

Und ich? Ich war auch ein Opfer, wenn auch eines, das gehörig Schuld auf sich geladen hat. Und weil diese Schuld nicht gut auszuhalten war, suchte ich andere, die noch viel mehr schuld waren als ich. Mein Anteil (was mache ich da eigentlich mit meinem Hund und den Menschen und Hunden in meinen Gruppen – das will ich doch gar nicht!) war schon schlimm genug, aber mein kleiner Hund wurde immer unglücklicher und ich mit ihm. Parallel dazu wurde natürlich auch mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen immer schlimmer – nicht weil die alle so bescheuert waren, sondern weil ich diesem Unsinn aufgesessen war, dass man Dominanz zeigen muß, sonst übernimmt der Hund die Kontrolle, dass ich alles vorhersehen muß, sonst gerät die Situation außer Kontrolle, dass ich meinen Hund im Griff haben muß, sonst übernimmt er die Kontrolle… Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Man wird regelrecht zum Kontrollfreak und traut sich nichts mehr zu – vielleicht verliert man ja sonst die Kontrolle!

Könnt ihr euch vorstellen, wie die Athmosphäre in diesem tollen Verein war? Schließlich waren alle immerzu darauf bedacht, niemals die Kontrolle über ihre Hunde zu verlieren. Nur über die Hunde?

Wer glaubt, dass so ein Herangehen „nur“ auf den Umgang mit Hunden beschränkt bleibt? Ich glaube das nicht nur nicht mehr, sondern ich weiß, dass das auf alles abfärbt: auf die Beziehung zum Hund genauso wie zum Partner, zu den Menschen in der näheren und weiteren Umgebung und zu allen Menschen mit und ohne Hund, denen man begegnet. Warum? Weil man eben nicht alles unter Kontrolle haben kann und weil es einfach irrsinnig ist, allen und jedem ständig üble Absichten zu unterstellen. Es ist kein Verbrechen, wenn man seinen Hund egal auf welcher Seite laufen läßt, und erst recht gibt es keine Vorschrift, dass man seinen Hund immer nur auf einer Seite führen muß, aber ausweichen und eine friedliche Lösung finden, das ist eine gute Idee, die das Leben für alle einfacher macht.

Wer eben mal übersehen hat, seinen Hund rechtzeitig abzurufen und anzuleinen, ist noch lange kein Idiot, er hat vielleicht nur gerade gepennt. Passiert das nicht jedem von uns mal? Wo ist das Problem? Wenn die eigenen Hunde andere Hunde nett finden, können sie doch auch einfach mal „Hallo“ sagen. Und wenn sie sich nicht nett finden, dann werden sie sich schon nicht gleich ermorden. Ist das ein Grund, sein Gegenüber anzuschnauzen? Ihn – oder sie – für einen kompletten Volltrottel zu halten? Ganz sicher nicht.

Irgendwann ist bei mir der Groschen gefallen, das war 2001, und ich habe angefangen, mit meinem Fritzi ganz anders umzugehen. Das Halsband wurde entfernt und er bekam ein Brustgeschirr. Die Meterleine wurde an den Haken gehängt und wir haben uns eine Drei-Meter-Leine besorgt. Das Buch „Calming Signals“ von Turid Rugaas wurde über Monate unser wichtigster Ratgeber und die Ergebnisse auf Turnieren wurden immer unwichtiger, bis ich diesen Unfug ganz sein ließ. 2003 habe ich mit meiner Trainerausbildung bei animal learn begonnen und das war der letzte Anstoß, den ich brauchte. Wer mit seinem Hund freundlich umgeht und vorausschauend spazierengeht, braucht keine Schuldigen für die eigenen Versäumnisse zu suchen, der hat Freude an seinen Hunden, sieht auch mal was lockerer und ist entspannter. Der häufigste Satz, den ich von meinen Kunden höre, ist: Du bist vielleicht entspannt, regt dich denn gar nix auf?  Nein, so schnell nicht – im Gegensatz zu früher.

Oder? Doch, es gibt Dinge, die regen mich immer mehr auf. Leinenruck zum Beispiel, oder grober Umgang mit Hunden, Unfreundlichkeit, Intoleranz, Arroganz…. alles Eigenschaften, die meine armen Teilnehmer im Jahr 2000 auf dem oberbayerischen Hundeplatz mir vermutlich auch zugesprochen haben. Aber das ist Gott sei Dank Vergangenheit.

Wenn ich mit oder ohne Hunde jemanden treffen, mit ihm Kontakt aufnehme, dann bin ich in der Lage, freundlich und unvoreingenommen auf diesen Menschen zuzugehen und einfach mal zu schauen: was bist du denn für einer? Da gibts welche, die stehen mir nicht so zur Nase, mit manchen wll ich überhaupt nichts zu tun haben, andere finde ich ganz nett und mit einigen freunde ich mich an. Meine Kunden mag ich bis auf sehr seltene Ausnahmen gern, und ich habe gelernt darauf zu achten, was sie richtig machen. Das was sie „falsch“ machen, fällt dann hinten runter und ist irgendwann nicht mehr wichtig. Das war gar nicht so schwer, weil bei den Hunden mache ich es ja genauso. Das Training macht Spaß, ich freue mich auf jedes Training und die Menschen und Hunde merken das.

Klappt das zu 100%? Nein, natürlich nicht. Ich bin ein Mensch und kein Roboter. Manchmal bin ich nicht gut drauf, aber daran sind weder meine Hunde noch meine Kunden schuld, sondern irgend etwas anderes, manchmal auch ich selber. Und wenn ich dann merke, dass meine Hunde komisch werden, beschwichtigen, mich dauernd beobachten, unentspannt wirken, dann denke ich nach – über mich, was ich gemacht habe, ob ich was anders machen soll. Und siehe da – es funktioniert. Wir klären solche Verstimmungen mittlerweile ganz schnell und müssen nicht irgendwelche nichtsahnenden Passanten oder Kursteilnehmer zu Idioten erklären. Guter Plan, oder?

Für viele Menschen und Hunde ist aber nach wie vor die Realität, dass das Zusammenleben einfach nur ein Kampf ist, ein sehr einseitiger Kampf, den wir Menschen anzetteln und die Hunde müssen mitmachen, ob sie wollen oder nicht. Angeheizt werden diese sinnlosen und überflüssigen Kämpfe von Leuten wie Cesar Millan und anderen „Experten“, die Hundehalter in Atem halten mit ihren gewalttätigen Ideen. Heraus kommen dabei nur unglückliche Menschen und unglückliche Hunde. Denn ein gutes Zusammenleben erreicht man weder durch Dominanzgehabe noch durch Kicks in die Nieren noch durch Würgen des Hundehalses….

Zufriedenheit, Freundschaft, Vertrauen und Liebe können nur dort gedeihen, wo man entspannt, freundlich und liebevoll miteinander umgeht. Wenn Sie also die ganzen schönen Artikel in der Blogparade gelesen haben und jemanden kennen, der Cesar Millan gut findet und sogar eine seiner Shows besucht, dann sollten Sie ihm mal diesen Link
https://www.gewaltfreies-hundetraining.ch/tauschaktion/
zukommen lassen. Vielleicht kommt er ja tatsächlich auf die Idee, sein Ticket für eine vollkommen überflüssige Cesar-Millan-Show gegen eine Beratung in einer gewaltfreien Hundeschule zu tauschen. Möglich wär’s.

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3 Kommentare zu Warum fairer Umgang mit Hunden den Umgang mit Menschen fairer macht

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