Dominanz oder Dominanz?

Ich freue mich ganz besonders, hier einen hochinteressanten Artikel von Elisabeth Lierschof veröffentlichen zu dürfen. Elisabeth’s Gedanken zum Thema „Dominanz“ sind sehr lesenswert.

Mit dem Begriff „Dominanz“ assoziieren die meisten Menschen spontan eher negative Eigenschaften, wie Macht, Unterdrückung und Ähnliches.

Fragt man aber mal genauer nach, ob es nicht auch positive Gedanken dazu gibt, erhält man Vorschläge wie: Präsenz, innere Klarheit, Bei-Sich-Sein, Verantwortung übernehmen, Schwächeren helfen, Ausstrahlung, Charisma.

Dass ein Hund nicht die dominante Rolle in Beziehungen spielen will, haben wir ja schon oft und ausführlich geklärt. Diese falsch verstandene Vorstellung von Dominanz dient einigen Menschen als Ausrede, Hunde nicht verstehen zu wollen und um Zwang, Gewalt und Unterdrückung zu rechtfertigen.

Dennoch können uns Hunde durch ihr Verhalten sehr stark dominieren, ohne dass sie die Absicht haben dies zu tun.

Sie können unsere Gefühle und Stimmungen dominieren, unter Umständen sogar die Atmosphäre des Zusammenlebens in unserer Familie.

Eben war ich noch gut gelaunt und bin entspannt spazieren gegangen, jetzt hänge ich überfordert, genervt, peinlich berührt an der Leine eines schreienden, zappelnden Hundes, weil der nicht an fremden Hunden vorbei gehen kann. Ich fühle mich schlecht.

Mein Hund hatte mich mit seiner Stimmung dominiert. Seine Unsicherheit, Angst, Abwehr oder Aggression hatten sich auf mich, auf meine Stimmung übertragen.

Ich war nicht „Herr“, besser gesagt „Dame“ der Lage.

Der Begriff DOMINANZ kommt von Domus – Haus,

oder auch Dominus/Domina – Herr/Dame des Hauses.

Die eigentliche Bedeutung ist,

Herr/Dame im eigenen Haus zu sein,

bei sich zu sein, selbst bestimmt zu leben.

Im Sozialen versteht man unter dem Begriff DOMINANZ unter anderem, dass jemand agiert, handelt, führt, oder eine bestimmte Energie besitzt, die sich Anderen mitteilt.

Man spricht ja auch davon, dass jemand eine besondere Ausstrahlung oder Charisma besitzt.

DOMINANZ kann auch dynamisch sein, denn wenn ich

BEI MIR, IN MEINEM EIGENEN HAUS

bin, dann kann ich anderen Raum lassen, sich und ihre Bedürfnisse auszuleben.

Ich besitze die Sicherheit, dass ich weiß, was mir gut tut, und was denen gut tut, die mir anvertraut sind. Ich bin souverän genug, dass ich in Ruhe zulassen kann, wie andere etwas ausprobieren, ich kann die Grenzen dessen was ich zulassen will, sehr weit stecken.

Es kann auch dazu führen, dass ich mich auf Ideen meines Hundes einlasse, obwohl ich evtl. ursprünglich etwas ganz anderes im Sinn hatte.

Für mich bedeutet DOMINANZ im positiven Sinne, Führung und Verantwortung zu übernehmen, und eben nicht automatisch Unterdrückung, Zwang, Unterordnung, Machtausübung.

Ich finde, wir sollten wieder dazu kommen, dazu zu stehen, im guten Sinne dominant zu sein.

Ich dominiere das Leben meines Hundes.

Ich bestimme seinen Lebensrhythmus und was ich als erwünschtes bzw. unerwünschtes Verhalten ansehe.

Ich bestimme, was, wann, wie oft und wie viel er frisst.

Ich entscheide, wann, wo, wie lange, und mit wem wir spazieren gehen,

ob er frei läuft oder angeleint ist, und welche Art der Hundebegegnung er haben soll.

Ich bestimme die Art und Weise der Erziehung und Ausbildung, und wofür er belohnt oder gelobt wird.

Je nach meinen eigenen Interessen und Neigungen entscheidet sich, welche Beschäftigung er haben soll, ob und welchen Sport wir zusammen treiben.

Ist das jetzt per se etwas Schlechtes?

Und wie ist es mit Grenzen setzen?

Mein Frino möchte gern an der Grundstücksgrenze die Verantwortung übernehmen, er will allen lauthals verkünden, dass er für das Aufpassen zuständig ist, er möchte auch kontrollieren, wer bei uns hereinkommt und auf welche Art der Besuch begrüßt wird. Ich finde allerdings, dass ich für diese Fragen zuständig bin. Also sage ich es ihm, klar und deutlich, verbal und/oder mit Hilfe meiner Körpersprache, selbstverständlich ohne einschüchternd oder bedrohlich zu wirken.

Er erscheint mir in solchen Situationen oft direkt erleichtert, als wenn er sagen wollte: „Okay, dann muss ich mich nicht mehr darum kümmern.“

Wenn ich Menschen mit ihren Windhunden sehe, beeindruckt mich immer ein gut eingeführtes „Stopp“ – Signal, wenn die Hunde zu sehr aufdrehen und Lebens- und Rennfreude umschlägt in pure Erregung. Sehr leicht beginnen sie dann sich gegenseitig zu mobben oder zu ritzen.

Auch hier erlebe ich bewundernd, wie die Hunde schlagartig in einen anderen Modus verfallen, und vollkommen ruhig werden können.

Hier übernimmt der Mensch Verantwortung und bestimmt die Situation, die chaotisch zu werden droht.

Hunde und Wölfe zeigen uns Menschen genau diese Aspekte von Dominanz. Bei ihnen bewundern wir die souveräne Art, anderen zu zeigen, wie man sich untereinander gut benimmt. Warum also sollten wir dies nun, wenn es um Menschen geht, als etwas Falsches betrachten und es ablehnen?

Bleibt noch die Frage, was kann ich denn tun, damit mein Hund sich so verhält, dass es uns Beiden gut tut?

Einerseits brauchen wir Wissen, Kompetenz, Erfahrung, Aneignung und Einüben von Techniken, die uns helfen, Hunde zu verstehen und mit ihnen zu trainieren (der gut gefüllte Werkzeugkasten).

Noch viel wichtiger finde ich jedoch die innere Haltung, mit der ich meinem Hund gegenübertrete. Sie sollte bestehen aus: Respekt vor dem anderen Lebewesen, Souveränität, Bei-MIR-Sein, Gelassenheit, Entspanntheit, Humor, Verantwortung, und sie sollte andererseits Willensenergie und Entschlossenheit beinhalten. Ich wünsche mir einen Hund, der soviel wie nur irgend möglich seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen nachgehen kann, der einfach Hund sein darf.

Der geniale Satz von Clarissa von Reinhardt „trainieren Sie noch, oder haben Sie schon Spaß mit Ihrem Hund?“ trifft hier ganz genau meine Sehnsucht nach einem natürlichen, friedlichen Miteinander, das ohne viel Einwirkung auskommt.

Wie das Leben so spielt, sind mir gestern diese Worte zugefallen:

Als soziale Lebewesen brauchen wir für ein glückliches Leben Freundschaft, Vertrauen und Offenheit.

Vertrauen ist die Grundlage jeder Freundschaft, und wir werden es finden, wenn wir zu dem, was wir in unserer herkömmlichen Erziehung gelernt haben, auch Warmherzigkeit entwickeln.

Aus dieser Warmherzigkeit erwachsen uns Selbstvertrauen und innere Stärke, um in Vertrauen und Freundschaft mit anderen zusammenleben zu können.“

Dalai Lama

Elisabeth Lierschof, Vomp in Tirol, April 2013

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