Manchmal ist man nur fassungslos! Da kommt doch von einem Tierarzt tatsächlich die Aussage bei einem vor Angst schreienden Winzling: Der dominiert mit seiner Angst seine Besitzer. Denn nachdem man sich einen Winzhund – Rasse egal – ins Haus geholt und ihn nach erfolgreicher Überkuschelung, zu viel und zu lange allein lassen und ähnlichen großartigen Aktionen zum schreienden Quälgeist gemacht hat, landet das süße Tierchen im örtlichen Tierheim. Der Kuschelfaktor ist nach gut einem Jahr ebenfalls aufgebraucht und wenn das blöde Vieh auch immer sofort zu schreien anfängt, wenn man ihn mal „liebevoll“ zwangsbekuschelt und hochnehmen will, dann eben weg mit ihm.
Der arme kleine Kerl hat gelernt: wenn ich nur schreie was die Stimmbänder hergeben, dann habe ich meine Ruhe. Ist auch logisch, denn niemand hält das Gekreische dieser schrillen Stimmen aus. Und dann kommt ein Tierarzt, sieht und weiß – eigentlich – was los ist und läßt genau diesen Satz los – Dominanz durch Angst. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Wenn man schlicht den Begriff „Dominanz“ bei Wikipedia eingibt, erhält man ein paar nüchterne Definitionen, zum Beispiel diese hier: „Dominanz-Hierarchien sind bei vielen Tieren einschließlich der Primaten und auch beim Menschen zu finden. Individuum A schränkt die Rechte und Freiheiten von Individuum B ein und gesteht sich selber diese Rechte und Freiheiten zu, was von B akzeptiert wird. Dominanz ist immer beziehungsspezifisch und ist zeit- und situationsabhängig.“ Ob das mit den Hierachien jetzt so stimmt, lassen wir mal dahingestellt, aber der 2. Satz ist doch wirklich interessant. Ganz sicher stimmt es, dass menschliche Freiheiten eingeschränkt werden, wenn so eine armes Fusshüpchen durch Geschreische dafür sorgt, dass das Kuschelbedürfnis seines Halters nicht mehr erfüllt wird. Ob es das Recht des Menschen ist, einen Hund dazu zu zwingen, ist schon wieder eine andere Sache. Aber gesteht sich der Chihuahua oder der niedliche Bolonka dann ähnliche Recht und Freiheiten zu? Wird dann der Mensch zwangsbekuschelt und rumgetragen?
Dominanz, egal wie man sie definiert, hat immer etwas mit Überlegenheit zu tun, mit Macht und Machtansprüchen, die man auch sehr bewußt durchsetzt. Das muß nicht mit Gewalt erfolgen, das kann einfach eine Folge von natürlicher Autorität und souveränem Auftreten sein. Wenn z.B. ein Hund in einer Gruppe einen anderen attackieren möchte und ein dritter stellt sich locker dazwischen nach dem Motto: „so nicht, Kumpel“, dann ist das in diesem Moment eine sehr gute und dominante Aktion, bei der der dritte Hund vermutlich einfach über souveränes Auftreten verfügt.
Es ist immer so schön verführerisch, wenn man ein höchst diffuses Fachwort verwenden, das Gesagt als Fachwissen verkaufen und einem Hund ein Etikett umhängen kann. Damit vermeidet man erfolgreich, dass irgendjemand auch nur noch ansatzweise darüber nachdenkt, warum der kleine Kerl denn überhaupt so reagiert. Denn wenn man nachdenken würde, dann müßte man sich ja auch eine Lösung des Problems einfallen lassen. Die Lösung des im Tierschutz gelandeten Handtaschenhündchens – schreien, bis sich keiner mehr hertraut – ist ja nicht so unglaublich vermittlungsfreudig und sozialverträglich. Die Lösung könnte z.B. heißen: viel Geduld, viel Zeit, viel Liebe und Verständnis aufbringen, die Ohren zumachen, wenn der Kleine brüllt und die Ursache für das Geschrei abstellen, indem man z.B. übergriffige Menschen abwehrt. Die Lösung heißt ganz sicher, dass man dem Winzling beibringt, wo er Schutz suchen und den garantiert bekommen kann. Das ist natürlich ein kleines bisschen mehr Aufwand als eine simple Aussage zu treffen, die dann alle in Sicherheit wiegt: das ist eine ganz dominante Töle, da kann man nix machen.
Kleine Hunde haben schon genug Probleme. Jeder findet sie süß, niedlich und zum Knutschen, selbst wenn es sich um erwachsene, würdevolle Hunde mit großer Individualdistanz handelt. Man übersieht sie pausenlos, ständig müssen sie wegen unserer Unachtsamkeit Angst haben getreten zu werden, jeder wird ihnen gegenüber übergriffig vom Trainer über den Hundefriseur bis zum Tierarzt, von allen möglichen Menschen, die ständig mit Gekreische „aaach, ist der süüüß!“ über sie herfallen, ganz abgesehen. Sie werden nicht ernst genommen und oft nicht besser behandelt, wie jedes x-beliebige Plüschtier. Wie wäre es, wenn sich wenigstens Hundetrainer, Tierärzte und anderes Personal vom Fach ihrer annehmen würden und ihre Probleme als das sehen würden, was sie sind: vom Menschen erzeugte Reaktionen?