von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin
Man muß es ehrlich zugeben: der Schrott, der in den Medien über Hunde verbreitet wird, nimmt ganz langsam ab und hin und wieder liest man auch vernünftige Sachen – und das nimmt allmählich zu. So wissen jetzt mittlerweile viele Leute, daß Knurren ein Warnlaut ist. Das ist zunächst gut. Nur: was fangen sie mit der Information an?
Konkretes Beispiel: ich werde zu einer Familie gerufen, die seit knapp 4 Wochen einen jungen Hund von ca. 5 Monaten haben. Der kleine Kerl kam verängstigt und vernachlässigt zu ihnen, über die Vorgeschichte wissen sie nichts, nicht wo er herkam, wie er aufgezogen wurde, warum er abgegeben wurde…. nichts. Aber er ist sehr süß, so ein kleiner Terriermix mit großen dunklen Augen und grauschwarzem Wuschelfell, total niedlich. In ganz kurzer Zeit gibt es große Probleme mit ihm und man denkt ernsthaft daran, ihn wieder abzugeben, denn: er verbeißt sich in allem und jedem, läßt er nicht mehr los und dann knurrt er auch noch! Und das ist doch ein Warnlaut! Was wird passieren, wenn die Tochter mit dem kleinen Enkel kommt? Wird er den dann gleich beissen? Und wird er seine Familie irgendwann beissen?
Warum warnt er überhaupt? Es geht ihm doch gut. Jeden Tag wird mit ihm 5-6 Mal spazieren gegangen, es wird viel mit ihm gespielt, das was er gerne mag, z.B. spielt er total gerne mit Zotteln, liebt Ballspiele, tobt mit dem 9jährigen Sohn durchs Haus, alles ganz super – und plötzlich verbeisst er sich im Hosenbein und läßt nicht mehr los. Oder wenn er im Sessel liegt und schläft und man will in streicheln – knurrt er plötzlich! Was soll das denn? Warum warnt er denn? Will er wirklich zubeissen? Die wirklich nette Familie ist total verunsichert.
Unser kleine Beispielhund, den es genau so gibt, hat ganz andere Bedürfnisse als jeden Tag stundenlang spazieren zu gehen oder rumzutoben. Der ist eigentlich noch gar nicht richtig angekommen, weil er nie in Ruhe gelassen wird. Warum wurde er abgegeben? Da kann es nicht so viele Möglichkeiten geben. Entweder es handelt sich um Hundevermehrer, die möglichst niedliche Hunde züchten und da blieb ein schwarzer (nicht sooo niedlich) übrig und der wird dann unters Volk geworfen. Oder jemand hat sich unüberlegt einen Hund angeschafft, kommt damit nicht klar und ist froh, wenn er ihn abschieben kann. In beiden Fällen habe ich ein Hundekind, das schwer traumatisiert ist. Niemand hat sich jemals wirklich um die Bedürfnisse dieses Hundekindes gekümmert, er wurde nur rumgeschubst, weitergegeben, nicht wirklich erzogen, geliebt, versorgt. Jetzt kommt er dort an, wo man das versucht, aber anstatt zu überlegen, daß dieses Hundekind jetzt vorallem Ruhe, Geborgenheit und Sicherheit braucht, wird er behandelt wie ein lebendes Spielzeug.
Den wenigsten Menschen ist das bewußt. Sie denken: jetzt geht es ihm gut und ein Kind ist er auch noch und Kinder wollen spielen, also, los gehts! In seiner Verzweiflung verbeißt er sich z.B. in einem Ärmel, weil er zu sehr bedrängt wird. Erst ist das lustig, nach dem ersten Loch nicht mehr – oder wenn er die Haut ritzt oder die neue Hose kaputt macht. Aber weil er selber nur gelernt hat, daß er bedrängt wird und seine Bedürfnisse nicht erkannt werden, kann er gar nicht aufhören, sondern macht immer weiter – die Menschen machen ja auch weiter: wenn er den Ärmel losläßt, holen wir eben den Ball. Ein „Hundeexperte“ aus der Nachbarschaft hat gesagt: „Terriermix! Oho! Der braucht viel Beschäftigung und Bewegung!“ Also geht es weiter und weiter – bis es sogar den Menschen zuviel wird. Dann legt er sich endlich in seinen Sessel – und zack ist jemand da, der ihn streicheln möchte – weil er so süß aussieht! Herr im Himmel, denkt er, ist denn nie Ruhe! Und knurrt.
Bitte nicht lachen! Es ist nicht komisch, sondern traurig. Ja, knurren ist ein Warnlaut und heißt: es reicht jetzt echt, lass mich endlich in Ruhe! Und wenn die Menschen nicht aufhören, sondern weitermachen, wird jeder Hund irgendwann zumindest abschnappen, egal wie nett sie zu ihm sind.
Was brauchen junge Hunde, egal ob mit trauriger Vorgeschichte oder aus guten Händen, tatsächlich? Sie brauchen Menschen, denen klar ist, daß Erziehung und Hundeaufzucht vor allem darin besteht, einem Hund die Welt zu zeigen und zu erklären – so wie seine Mama das machen würde. Sie brauchen jemanden, der sich Zeit nimmt, nicht jeden Tag viele Stunden, sondern immer wieder ein paar Minuten, der da ist, wenn der Kleine ihn nötig hat und Sicherheit und Rückhalt braucht. Lange Spaziergänge: ja, das kommt schon noch. Aber erstmal muß er lernen: wo lebe ich hier überhaupt? In der Stadtmitte in einer Etagenwohnung mit Treppen, Hinterhof und Straßenlärm? Oder im Einfamilienhaus mit großem Garten? Wie ist meine nächste Umgebung? Gibt es hier Hunde, lärmende Kinder, alte Leute mit Rollater, Autos, Fahrradfahrer, Jogger, Kühe, Pferde….. Welche Straßen, Wege, Plätze gibt es in unserer Nähe? Wenn ich links oder rechts gehe, wo komme ich da hin? Und wie komme ich wieder nach Hause? Wie riecht eine Wiese, ein Kinderspielplatz, ein Grünstreifen, ein Straßenrand, ein Flußufer, ein Baum? Kann man Kaugummipapier fressen oder tauscht man das besser gegen ein Leckerchen? Nach so einem Erkundungsgang ist erstmal Pause angesagt, richtig Pause mit schlafen und ruhen, damit er diese vielen Eindrücke, Gerüche, Geräusche überhaupt verarbeiten kann.
Was ich hier beschrieben habe, ist kein Tagesprogramm, sondern zieht sich über Monate hin. Es geht nicht nur darum, je Lebensmonat max. 5 Minuten spazieren zu gehen, sondern darum, in dieser Zeit die Welt zu erkunden – und zwar in dem Tempo, das der kleine Hund braucht, nicht in Menschentempo: das machen wir jetzt mal schnell. Erziehung bedeutet nicht: mein kleiner Freund muß alles machen, was ich von ihm möchte – auch dann nicht, wenn ich freundlich bin und ihm alles nett und lieb beibringe. Erziehung heißt: ich weiß, was du für Bedürfnisse hast, gehe darauf ein, passe mein Tempo deinem an, ich zeige dir die Welt und wie Leben geht. „sitz, platz, fuß“ machen wir auch noch – und zwar da, wo es sinnvoll ist. Spielen? Ja, klar. Aber so, daß du dich nicht aufregen mußt, daß du gewinnen kannst und nicht immer Angst vor meiner körperlichen Überlegenheit haben mußt, so daß es uns beiden Spaß macht und wir beide hinterher zufrieden sind – also kurz und ruhig und mit Köpfchen. Und ganz viele Dinge machst du allein, mit mir an deiner Seite, damit dir nichts passiert: schnüffeln, erkunden, beobachten, so wie du das möchtest. Ich pass schon auf, daß dir nichts passiert. So lernst du, mir zu vertrauen, weil ich nichts von dir fordere, was du nicht kannst oder möchtest und wir wachsen ganz allmählich zum Dreamteam zusammen.
Natürlich bin ich heilfroh, wenn Hundebesitzer knurren als Warnlaut verstehen und nicht denken: jetzt geht der Kampf um die Vorherrschaft los. Das ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung. Aber es gibt noch viel zu tun, gerade was Welpen- und Junghundaufzucht betrifft. Weil aber viele Menschen auf einem guten Weg sind, sollte es durchaus möglich sein, alle diese Erkenntnisse unters Volk zu bringen.
4 Kommentare zu ….. und dann knurrt er auch noch!