Motivation nur per Knopfdruck?

Warum man mit Hunden auch ohne Motiavtionsmarathon klar kommt.
von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin
(Dieser Artikel erschien 2013 in der Zeitschrift Canisund)

Ein kleiner Hund zieht im zarten Alter von 10 Wochen bei einer neuen Familie ein. Alle freuen sich, nach der Eingewöhnungszeit auch die Pelznase, und die ganze Familie ist schwer damit beschäftigt, den Kleinen zu erziehen. Dazu gehen sie in eine Hundeschule, die mit positiver Motivation arbeitet, also den kleinen Kerl für alles belohnt und bestätigt, was er gut und richtig macht. So weit, so gut. Nur gehen die Meinungen auseinander, was gut und richtig ist, bzw. was so ein Hund im Alltag mit seinen Menschen tatsächlich braucht.

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA Für viele Hundehalter und leider auch für viele Trainer soll der Mensch im Mittelpunkt des Hundelebens stehen und zwar ohne Wenn und Aber. Und dazu wird der Hund motiviert auf Teufel komm raus. Denn nach wie vor sind die allermeisten Menschen davon überzeugt, daß man Hunde „zum Mitmachen“ motivieren muß. Und das sollten wir uns etwas genauer ansehen. Der kleine Kerl hat ja seine Mama, seine Geschwister und die Menschen verloren, die ihn seit seiner Geburt begleitet und angeleitet haben. Er hat gelernt, wie er mit allen umgehen kann, so daß die Welt in Ordnung ist, daß die Mama sich liebevoll um ihn kümmert und ihn beschützt. Seine Menschen haben mit ihn lieb gehabt, aber auch schon mal das eine oder andere untersagt und ihn ebenfalls vor Gefahren beschützt…. wie es mit Welpen eben in den ersten Wochen ihres Leben so läuft.

welpen-barfen-01Auch in der neuen Familie läuft das erstmal so. In der Hundeschule lernen seine Menschen, dann daß man ihn zu allem und jedem motivieren muß, z.B. muß er ständig auf seine Menschen achten, muß sie immer im Blick haben und muß immer darauf sehen, daß er in ihrem näheren Umkreis bleibt….. Am Anfang klappt das auch ganz gut, da Welpen sich die ersten Wochen nur wenig von ihren Menschen lösen und ihnen nachlaufen „wie ein kleiner Hund“. Nur mit der Zeit, wenn die Pelznase so fünf. sechs Monate alt ist, fängt der Kleine an, die Welt ein bißchen genauer zu erkunden und auch mal ungeplante Ausflüge zu unternehmen. Und spätestens jetzt fängt der Motivationsmarathon an. Da wird in den höchsten Tönen gequietscht und gelobt, was das Zeug hält, da wird geclickert und mit Leckerchen um sich geschmissen, daß es eine wahre Freude ist. Wenn Mensch viel Glück hat, diesen ganzen Stress durchsteht, und sein Hund irgendwann einfach aufgibt, bekommt er einen Hund, der ihn permanent im Auge behält und dafür im Gegenzug für jeden Blickkontakt zur Belohnung ein „click – priiimaa!“ mit Leckerchen bekommt. Schlimm? Ich finde schon.

Berta 15.08.2011 011Versetzen Sie sich einfach in die Situation des jungen Hundes. Er fühlt sich so sicher in seiner Welt, daß er sich durchaus mal traut, ein bißchen mehr zu erkunden. Und das ist normal und sollte in vernünftigen Grenzen gefördert werden. Denn wenn er kein Interesse an der Welt hätte, würde das auf eine schwere psychische Störung hinweisen, dann könnte das z.B. bedeuten, daß er von klein auf so unterdrückt wurde, daß er überhaupt kein Selbstvertrauen aufbauen konnte. Die Pelznase in unserem Beispiel konnte das, ist also eigentlich alles gut gelaufen. Nur haben Menschen sehr sonderbare Vorstellungen, was Hunde dürfen und was nicht, z.B. ist eines der Kapitalverbrechen: Hund unternimmt etwas auf eigene Initiative und hat auch noch Spaß dabei. Und um das zu unterbinden, treibt die Phantasie mancher Menschen ungeheure Blüten. Damit das nicht zu theoretisch bleibt, hier zwei Beispiele aus der Hundeschule.

Welpen FJ 07 013Als ich hier in Metzelthin anfing als Trainerin zu arbeiten, meldete sich eines Tages ein Mann mit einer Dackelhündin an, die nach seiner Aussage extrem dominant sei, sich immer durchsetzen und alles kontrollieren wolle. Jetzt traut man einem Dackel allerhand zu und ich machte mich auf eine kleine Tyrannin gefaßt. Wie erstaunt war ich, als der Kunde die Klappe seines Kombis öffnete und mich ein freundliches, kleines Dackelmädchen anlachte. Sehr fidel sprang sie heraus und nach einer ausgiebigen Begrüßung machte sie sich an die Erkundung des Hundesplatzes. Irgendwo fand sie ein Stöckchen, mit dem sie sofort ein lustiges Spiel begann: in die Luft werfen, auffangen, rumtragen, drauf wälzen…. sie hatte allerhand Ideen und machte einen absolut ausgeglichenen und fröhlichen Eindruck. Wir standen daneben und zumindest ich hatte meine helle Freude. Ihr Herrchen war dagegen voller Sorge und er fragte permanent, ob sie das auch dürfe. Sie durfte und ich konnte ihn auch beruhigen: es handelte sich weder um einen Kontrollfreak noch um eine Haustyrannin, sondern einfach um eine kleine Hündin, die sich ihres Lebens freute. Und das ist erlaubt, auch wenn der Mensch nicht der direkte Anlass dazu ist, deshalb muß der Hund keinen Antrag einreichen.

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Das zweite Beispiel hat etwas Tragisches. Auf einem Messestand bei der Heimtiermesse in Berlin konnte ich ein paar Jugendliche beobachten, von denen jeder einen Hund dabei hatte. Die jungen Leute machten nicht den Eindruck, als seien sie selber von militaristischem Gehorsam angetan, aber ihre Hunde waren einem wahren Clickerfeuer ausgesetzt. Ununterbrochen mußten sie ihre Menschen ansehen und bekamen fast im Sekundentakt jedesmal ein begeistertes „priiiimaaa – click!“ und dazu ein Leckerchen. Man kann beruhigt annehmen, daß diese Hunde geistig zu nichts mehr in der Lage waren, da sie überhaupt keine Zeit hatten, irgendetwas auf dieser Welt zu bemerken außer ihren dauerbestätigenden Menschen.

Welpen FJ 07 012Während das Beispiel mit dem Dackelchen relativ leicht abzuhaken ist, ist diese Bestätigungswut von etwas angeblich richtigem wie im zweiten Beispiel eine absolute Horrorvorstellung. Wo bitte ist hier für den Hund der Unterschied, ob er in ein permanentes Fuß- oder Platzkommando mit exakt vorgeschriebenem Abstand zum Menschen – z.B. Schnauze exakt in Kniehöhe – gezwungen wird oder ob er mit angeblich positiver Motivation Dauerblickkontakt zu seinem Menschen halten soll? So oder so wird er Hund zur Konditionierungsmaschine herabgewürdigt und in eine tierschutzrelevante Abhängigkeit gezwungen. Ob er jetzt auch mal gelobt oder mit Leckerchen belohnt wird, ist nicht mal mehr zweitrangig.

Oktober 07 042 xEs gibt ein paar Tatsachen, die sollte man sich als Hundehalter immer wieder ins Bewußtsein rufen:
1. Allzu großer Erkundungsfreude und Selbständigkeit hat die Natur bei jungen Hunden einen sehr effektiven Riegel vorgeschoben. Das sind die sog. Fremdelphasen oder spooky periods. Diese treten ca. 4-5 Mal im Leben eines jungen Hundes ein und machen ihn für kurze Zeit, meistens 1-2 Wochen, allem Neuen gegenüber mißtrauischer und vorsichtiger. Sie sind immer eine Folge erhöhter Erkundungsfreude und bewirken, daß der Hund das Erlernte verarbeiten kann und sich nicht übernimmt. Frei nach dem Motto: es ist besser eine Mahlzeit zu versäumen, als eine zu werden. Der Mensch muß eigentlich nur noch darauf achten, ihn freundlich an Neues heranzuführen, ihm genügend Gelegenheit geben, gefahrlos unbekannte Dinge zu erforschen und ihm in der Fremdelphase Sicherheit zu vermitteln.
2. Hunde sind grundsätzlich motiviert, mit uns zusammen zu arbeiten. Einfach so. Wenn das nicht so wäre, gäbe es keine Hunde bei uns. Oder glaubt irgendjemand, ein Viehhirte, Jäger oder Bauer vergangener Zeiten hätte mit der Motivation seiner Hunde einen Riesenaufwand betrieben? Warum auch? Hunde und Menschen sind dazu geschaffen in sehr komplexen Sozialverbänden zu leben. Und das bedeutet, daß man auf einander achtet, daß man kooperiert und großes Interesse an Kooperation und Kommunikation hat. Ich bin sogar davon überzeugt, daß für die meisten Hunde einfach das Zusammensein mit ihren Menschen selbstmotivierend ist, zumindest solange wir die Bedürfnisse der Hunde richtig einschätzen und auf sie eingehen.
3. „Motivation“ kann auch als Druckmittel fungieren. Vor allem gilt das dann, wenn der Hund Dinge tun soll, die nicht wirklich hundgemäß sind, z.B. permanenten Blickkontakt mit seinem Menschen halten, oder nicht weiter als zwei Meter weggehen oder niemals zum Schnüffeln oder Pipimachen stehen zu bleiben, ohne daß der Mensch das erlaubt. Stimmt, zu solchen Dingen muß man seinen Hund motivieren, denn das würden sie von sich aus nicht tun. Wir übrigens auch nicht. Kein Mensch würde sich von seinem Partner eine derartige Tyrannei gefallen lassen – außer man hat ein äußerst merkwürdiges Verständnis von Partnerschaft oder liebt z.B. goldene Käfige.

Und schließlich und endlich: jedes Lebewesen hat ein Recht darauf, Eigenständigkeit und Selbständigkeit zu erlangen. Das sollte ein wichtiger Aspekt in der Hundeerziehung sein. Denn Erziehung bedeutet: ich zeige dir wie Leben geht und wie wir beide gut zusammen durchs Leben kommen. Erziehung bedeutet auch: ich als Mensch übernehme die Verantwortung für ein mir anvertrautes Lebewesen und ich trage Sorge dafür, daß es in allen Lebenslagen gut zurecht kommt, auch mal ohne meine Hilfe. Denn was passiert, wenn wir getrennt sind und niemand da ist, um alles und jedes zu clickern?

2015-09-15 13.39.45

Wenn Sie jetzt vermuten, daß ich etwas gegen den Clicker oder gegen Leckerchen oder gar gegen Loben haben, dann muß ich Sie enttäuschen. Alle drei Varianten gehören bei mir zum Repertoire. Es nur hier wie überall: die Dosis macht’s.

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