Problemverhalten – Normalverhalten – Was jetzt?

von Ute Rott
Forsthaus Metzelthin

Kennen Sie diese Menschen, die irgendwo hinkommen, z.B. in eine Kneipe und als erstes jede Menge Stühle für alle, die nach ihnen kommen, reservieren? Die folgen vielleicht erst in zwei Stunden und könnten sich dann selber um ihren Sitzplatz kümmern, aber nein, sie haben ja ihre Platzhalter. Wir hatten mal Bekannte, die erzählten immer ganz freudig, wie sie sich im Urlaub ihre guten Poolplätze freihielten: früh um fünf aufstehen und Handtücher verteilen – so andere nicht schneller waren. Abgesehen davon, daß wir nie Urlaub an irgendwelchen Pools machen, würde ich lieber ausschlafen.

Mit unseren übernächsten Nachbarn sind wir gut befreundet, aber manchmal gehen sie mir gewaltig auf den Keks. Wenn sie sich z.B. wieder tierisch aufregen, daß die Katzen aus dem Anwesen zwischen uns in ihrem Garten rumturnen, schließlich ist das ihr Garten und nicht der Garten der Katzen. Bei uns turnen diese Katzen auch rum und wir leben ganz gut damit. Ab und an verjagen sie die Hunde und alles ist gut.

Als wir hier in Metzelthin einzogen, wurden wegen der Hunde zuerst alle Zäune dicht gemacht und dann der Zaun um den Hundeplatz gezogen. Das mit dem Zäune dicht machen, fand Verständnis bei allen Nachbarn, aber wegen dem Hundeplatz gab es schon die eine oder andere Diskussion. Es war zwar allen klar, daß das sinnvoll und nützlich ist, aber schön fanden unsere Ossinachbarn diese Zaunzieherei nicht. Da wir einen großen Teil unseres Grundes nicht einzäunten und nach wie vor jeder dort rumlaufen kann, haben sich alle wieder beruhigt.

Unser Forsthaus liegt bekanntermaßen sehr einsam. Das bedeutet, daß wir sehr aufmerksam werden, wenn jemand hinten am Hundeplatz vorbeigeht oder auf der Straße vorbeikommt, egal ob mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Auto. Jeder wird genau beäugt: will der was von uns oder geht der weiter? Und ob Sie es glauben oder nicht: jeder unserer Gäste macht spätestens am zweiten Tag genau das gleiche.

Merken Sie, wovon ich Ihnen erzähle? Wir sprechen hier gerade über menschliches Territorialverhalten, etwas das uns mal mehr mal weniger nervt, aber das wir alle akzeptieren  und einordnen können. Kein Mensch käme auf die Idee, jemandem deshalb eine Therapie zu verordnen, denn ist einfach normal, daß man sein Revier markiert, z.B. mit einem Handtuch auf der Liege oder einem Zaun ums Grundstück oder indem man Vorbeikommende genau beäugt. Ebenso ist es normal, wenn manche Gäste mehr oder weniger oder gar nicht erwünscht sind. Ob jetzt unsere Bekannten tatsächlich so einen Hype um den richtigen Liegestuhl machen mußten oder unser Nachbar wegen der Katzen ist Ansichtssache, aber trotzdem ist es schlicht und ergreifend menschliches Territorialverhalten.

So, und jetzt zu den Hunden, denn die interessieren mich – und ich hoffe auch meine Leser – am meisten. Hunde sind bekanntermaßen territoriale Tiere. Wenn sie erwachsen werden, würden sie – so wir sie ließen – abwandern und sich irgendwo einen Partner und ein Revier suchen und dort eine Familie gründen. Alle ihre wildlebenden Verwandten tun das und ich vermute, auch sie würden sich wieder dorthin entwickeln. Das wollen wir aber nicht, sie bleiben bei uns. Tatsache ist, daß sie sehr schnell verstehen, wo unser Revier anfängt und wo es endet. Und dabei sind sie gar nicht so verschieden von uns. Noch dazu sind sie sozial genauso gepolt wie wir: sie leben in Familienverbänden, in denen jeder eine Aufgabe erfüllt: Haushalt und Garten versorgen, Geld verdienen, Kinder großziehen……… was eben so ansteht. Hunde können beispielsweise sehr gut aufpassen und da sie besser sehen, hören und riechen als wir, nehmen sie potentielle Gefahren sehr viel früher wahr, ideale Eigenschaften für Wächter.

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Wir haben verschiedene Spazierrunden ums Forsthaus, die auch Namen haben: da gibt es die „kleine“ Runde für morgendliche und abendliche Kurzgänge. Diese kleine Runde gehört uns eigentlich. Also nicht per Grundbuch, aber in unseren Köpfen. Und  – Überraschung – hier markieren unsere Hunde sehr genau und gründlich. Dann gibt es die „große, kleine“ Runde, bißchen albern, aber so heißt sie. Die ist für etwas ausgedehntere, aber nicht zu lange Spaziergänge, die gehört uns nur zum Teil – in unseren Köpfen, nicht im Grundbuch.  Dann gibt es verschiedene Dorfrunden, da begeben wir uns schon auf fremdes Terrain und entsprechend höflich bewegen wir uns dort auch. Nicht daß wir im Wald grundsätzlich die Sau raus lassen, aber wir treten dort vielleicht etwas selbstbewußter auf als woanders und beäugen „Fremde“ ein wenig mißtrauischer. Unsere Hunde können das mindestens genau so gut differenzieren wie wir und zeigen das auch. Maxl legt zum Beispiel großen Wert darauf, mit allen Hunden im Dorf befreundet zu sein. Wenn einer bockt, stellt er sich so lange ganz ruhig an den Zaun, bis der aufgibt. Und er muß bei den Dorfrunden immer alle begrüßen. Nur eine Boxerhündin mag er nicht. Alle anderen sind seine Kumpel. In revierfernen Gegenden legt er darauf keinen besonderen Wert, da möchte er nur ruhig vorbei gehen und muß nicht unbedingt Kontakt aufnehmen.

Und da gibt es Trainer, die sind fest davon überzeugt, daß Hunde ihr eigenes Grundstück nicht kontrollieren dürfen, für die das ein Problem ist, wenn ein Hund Territorialverhalten zeigt, evtl. markiert, Passanten beobachtet………… ja was würden die wohl machen, wenn sie im Urlaub jemanden sehen, der seine Liege mit einem Handtuch markiert? Einen Psychotherapeuten holen? Wenn mein Nachbar was dagegen hat, daß fremde Katzen in sein Beet kacken, ist das dann übertriebenes Territorialverhalten, das ebenfalls therapiert werden sollte? Ich persönlich finde, der soll sich nicht so haben, aber mehr auch nicht.

Ganz spannend finde ich, wie die Uckermärker über Zäune denken. Es ist nicht so, daß hier jeder jedem übers Grundstück latscht, sich Kirschen klaut oder seinen Hund in den Vorgarten machen läßt, das klappt interessanterweise ganz gut ohne Zäune, und hier gibt es nach wie vor viele Grundstücke ohne Zaun oder mit sehr mickrigen Zäunen. Ich finde das eigentlich auch schöner. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie das für Hunde wäre, wenn es gar keine Zäune gäbe. Sie müßten lernen, daß manchmal jemand vorbei kommt, den man in Ruhe läßt, der einfach weiter geht, wo ihr eigenes Grundstück endet und wo das von Nachbars Flocki, sie müßten lernen, wo das Dorfrevier endet, nämlich dort, wo das nächste beginnt, und sie müßten mit den Hunden in ihrer Umgebung zurecht kommen ohne große Auseinandersetzungen. Klappt nicht? Fahren Sie mal nach Spanien, Kroatien, Griechenland, eben irgendwo hin, wo es genau so läuft. Interessant, wie entspannt die Hunde dort sind und wie wenig sie abhauen. Sie bleiben immer in ihrem Bereich und verlassen den nur, wenn ihr Mensch sie mitnimmt. Das habe ich mehrfach mit frei laufenden Hunden, die eigentlich kommen und gehen konnten wie sie wollten, erlebt: sie wissen, wo ihr Grundstück zu Ende ist und wo das „große“ Revier aufhört. Und innerhalb dieser Grenzen halten sie sich auf und benehmen sich entsprechend anders.

Heutzutage muß ja jeder Hund „beschäftigt“ werden, wenn man das nicht entsprechend ernst nimmt, ist man ein unfähiger Hundebesitzer. Ich glaube das nicht, aber es gibt viele Bücher und Trainer, die das suggerieren. Da wird dann wie wild mit Bällen und Frisbees geworfen, permanent werden alle möglichen Gehorsamsübungen ganz furchtbar spaßig abgefragt: macht dein Hund auch „sitz“, wenn du ihm den Rücken zudrehst und den Kopf durch die Beine steckst? Da wird ein Trick nach dem anderen einstudiert, daß der Hund schon gar keine Luft mehr kriegt, die Reizangel fliegt durch die Lüfte zwecks Impulskontrolle………. und dann wundert man sich, wenn diese Hunde nervös und aufgedreht und gestresst sind, bei jeder Gelegenheit aufspringen, bei anderen Hunden aufreiten, und wie blöd an ihren Grundstücksgrenzen rumrennen. Jetzt kommt man dann noch auf die gute Idee, daß dieser verflixte Köter so verdammt territorial ist, daß man ihm unbedingt die Grenzen aufzeigen muß –  ganz wichtig! Also nicht die Grundstücksgrenzen, das ist überflüssig, die kennt er schon. Sondern die Grenzen seiner Freiheit, die sind nämlich ganz eng und die besagen nach diesen hervorragenden Fachleuten: Revier bewachen is nich! Das hat du gefälligst deinen Menschen zu überlassen, Freundchen!

Was jetzt blöd ist: Hunde merken sofort, daß Menschen das irgendwie nicht können oder nicht so genau wissen, was gefährlich ist oder nicht. Denn aus unerklärlichen Gründen, reagieren sie immer total komisch, sowie jemand in die Nähe des Gartens kommt: der Hund wird ins „Platz“ gedonnert oder angeleint oder weggesperrt, auf alle Fälle wird der Mensch hektisch und nervös und trifft Millionen Vorsichtsmaßnahmen, weil ja dieser Hund so dermaßen territorial ist und man nicht weiß, was ihm da einfällt, das ist ja auch ein Zeichen von Dominanz, oder etwa nicht? Hunde registrieren vor allem: für meinen Menschen ist das total unangenehm, wenn jemand in unsere Nähe kommt, ich mach mal lieber einen Aufstand, dann haut der andere vielleicht ab und nervt mein Herrchen nicht. Und nachdem das manchmal klappt und manchmal nicht, treten wir eine wunderbare Spiral an Hysterie los, aus der man nicht mehr so leicht rauskommt.

Wenn mir so arme Hunde begegnen, die nicht mal ein kleines „Wuff“ von sich geben dürfen, wenn sich jemand nähert, denn das ist auch schon so ein übles Zeichen, dann geht oft ein Stoßseufzer gen Himmel: Herr, wenn du schon nicht triffst, so du Hirn vom Himmel schmeißt, dann engagier doch Dirk Nowitzki, der kann das besser!

Scherz beiseite. Denn für die Hunde ist es nicht zum Lachen. Hunde und Menschen sind terrtorial veranlagte Landraubtiere und das nehmen beide bitter ernst. Bei Menschen wird es gerne mal albern – siehe Badetücher am Pool -, aber für Hunde wäre es eine wunderbare Aufgabe, die jeder vom Chihuahua bis zur Dogge selbst in der Zwei-Zimmer-Wohnung hervorragend ausführen kann, würde sich endlich mal die Erkenntnis unter sog. Fachleuten breit machen, daß Territorialverhalten
1. für Hunde ebenso normal ist wie für Menschen
2. vollkommen unproblematisch ist so man es richtig einübt und dem Hund zeigt, wie man sich dieses Bewachen vorstellt und
3. je nach Rasse und Individuum unterschiedlich ausgeprägt ist wie eben bei Menschen auch. Mein Nachbar vertreibt die Katzen, ich nicht. Ganz einfach.

Mein lieber Fritzi, der leider nicht mehr unter uns weilt, hat bis eine Woche vor seinem Tod jeden Tag mindestens zwei Runden über unser Gehöft absolviert. Morgens wurde in alle Richtungen eine laute Bellwarnung losgelassen: Achtung hier wache ich! Jede Ecke wurde  geprüft, ob da jemand versucht unbefugt einzudringen, da wurden die Waschbären so nachhaltig vertrieben, daß sie jetzt noch fern bleiben, da wußte jeder Besucher spätestens beim zweiten Mal, daß hier ein guter Wachhund wohnt, der niemanden einfach so auf den Hof läßt, aber zum freundlichsten Schmuser mutiert, sobald wir unser Ok gegeben haben – ja, Herrschaften, was will man von einem Hund eigentlich noch mehr? Er war total glücklich, zufrieden und ausgeglichen mit seiner selbstgewählten Aufgabe, und wir hatten einen zuverlässigen Wächter, der viel besser funktionierte als jede Klingel, die man auf unserem weitläufigen Anwesen sowieso nicht überall hört – wenn sie gerade mal geht.

Man kann aus allem ein Problem machen: wenn ein Hund pinkelt, schnüffelt, sich für Wild interessiert oder für läufige Hündinnen, bzw. für schicke Rüden, man kann es auch als Problem bezeichnen, wenn ein Hund einer typischen Wachhundrasse anfängt das Gehöft zu bewachen – irgendwie geht das immer, als wären wir unterbeschäftigt, wenn wir mal gerade kein Problem mit unseren Hunden haben.

Mein Tipp zum Schluß: wenn Ihnen mal wieder jemand erzählt, daß Ihr Bello weder schnüffeln noch pinkeln darf, wo er möchte, daß er unter keinen Umständen etwas beobachten, niemals am Zaun bellen darf und schon gar nicht, wenn jemand zu ihnen reinkommt, dann fragen Sie ihn doch einfach mal, wie er es mit Handtüchern am Pool hält. Wenn Sie Glück haben, haben Sie hinterher Ihre Ruhe und Bello auch.

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