Warum Hunde Probleme kriegen, wenn Menschen keine Zeit haben

Ute Rott
Forsthaus Metzelthin

Hin und wieder unternehmen Mäxchen und ich Spaziergänge in Templin.  Er hat ein Problem mit Autoverkehr, besonders Engstellen wie Tordurchfahrten oder Brücken findet er schwierig. Also verbinden wir irgendwelche Besorgungen und Trainings mit Stadttraining für Mäxchen. Er macht schon gute Fortschritte und Strecken, für die wir am Anfang mindestens 45 Minuten benötigten, weil eben z.B. die Überquerung der Schleusenbrücke allein schon 10 Minuten dauerte, gehen wir jetzt locker in einer halben Stunde. Zudem war jede Hundebegegnung in der Stadt für ihn eine große Herausforderung. Aber auch das ist schon richtig gut. Alles was ihn beunruhigt – egal ob LKW oder Hund oder Mensch im Rollstuhl – er gibt mir sofort Bescheid, wir bleiben in angemessener Entfernung stehen, so daß er sich in aller Ruhe versichern kann, daß alles ungefährlich ist. Er wird ausführlich für ruhiges Hinsehen gelobt und belohnt und wird immer sicherer. Wir lassen uns viel Zeit und kriegen das gut hin.

Beim letzten Spaziergang hatten wir eine unangenehme Begegnung, eigentlich nur ich, denn Mäxchen war’s egal. Wir hatten gerade die Schleusenbrücke erfolgreich hinter uns gebracht, als auf der anderen Straßenseite eine Frau mit einem Beagle entgegen kam. Der Hund hatte ein schwarzes Halsband um und daran war eine Leine befestigt. Er ging mit hoch erhobenem Kopf exakt neben ihr her, sah nicht rechts und nicht links, immer nur geradeaus. Er schnüffelte nirgends, weder an Ecken, noch Mülleimern oder den Bäumen, die dort standen, er lief wie ein kleiner Roboter. Diesen Hund und sein Frauchen kenne ich. Ich bog ab, um das nicht länger mit ansehen zu müssen, denn ich weiß, was da abläuft.

Die Frau war mit ihm bei mir, als er noch ein Welpe war. Ich bin bekennender Beaglefan, denn diese Hunde sind so nett und freundlich, so lustig und kreativ, daß es eine wahre Freude ist, mit ihnen zu arbeiten. Wenn ein Beaglechen bei uns aufschlagen würde, hätte ich nix dagegen. Nur landen sie oft bei den falschen Menschen, wahrscheinlich weil sie so niedlich aussehen. Diese Frau wollte, daß ihr Hund alles immer ganz genau so macht, wie sie es sich jetzt sofort vorstellt. Auch sekundenweise waren keine Verzögerungen erlaubt. Außerdem war alles, was sie sich einbildete, ganz sicher immer und überall das Beste für ihren Hund. Das leiseste Abschweifen an der Leine nach links oder rechts war ein Schwerverbrechen, ebenso die minimalste Verzögerung beim Abrufen…… Ich muß das hier nicht länger ausführen: nach 5 Stunden war das Training zu Ende, denn so wie ich mir das vorstelle, das war nix für sie. Und dann ging sie zum örtlichen Hundeverein.

Das nächste Mal traf ich die beiden ca. ein Jahr später. Er trug das besagte schwarze Halsband, das innen Stacheln hat, mit Halsband sieht’s halt netter aus als ein „echter“ Stachelwürger. Für den Hund bleibts gleich, ob er mit oder ohne Tarnung gewürgt wird. Aus einem netten, freundlichen Welpen war ein unsicherer und sozial vollkommen unverträglicher Jungrüde geworden. Stolz wurde mir demonstriert, wie er locker mittels Leinenruck daran gehindert wurde, vorbeigehende Hunde anzupöbeln. Ich habe damals zugesehen, diese unerfreuliche Begegnung zu beenden, denn ich muß mir das nicht antun und dem Hund konnte ich leider nicht helfen, die Frau ist vollkommen beratungsrestistent. Ihr Hauptproblem zu der Zeit war: er ist einfach zu dominant, im Verein sagen sie das auch. Was der Hund für Probleme hatte, war nicht mal am Rande von Bedeutung.

Das Dominanzproblem hatte sie jetzt wohl ein für alle Mal gelöst, denn dieser Hund bewegte sich nicht mehr wie ein normaler Hund sondern wie eine gut geölte Maschine. Und alles nur, weil Frauchen keine Zeit und keine Lust hat, mal kurz stehen zu bleiben. Und weil sie keine Zeit und keine Lust hat, sich mit den Bedürfnissen von Hunden zu befassen. Und weil sie keine Zeit und keine Lust hat, hin und wieder ihre Bedürfnisse hintanzustellen.

Versetzen Sie sich mal in seine Lage. Stellen Sie sich vor, Sie werden bei allem, was Sie gerne tun möchten oder auch tun müssen (!), z.B. pinkeln und kacken, per schmerzhaftem Ruck am Hals gehindert, denn das ist nur erlaubt, wo ihr „Menschenführer“ es gestattet. Sozialkontakte sind so gut wie unmöglich, da auch hier immer der Schmerz am Hals ins Spiel kommt, Sie werden also unleidlich gegenüber allen Menschen, die sich Ihnen nähern. Jede Abschweifung vom Weg, z.B. um mal ein Plakat zu lesen oder ein Schaufenster näher zu begutachten, wird ebenfalls durch schmerzhaftes Rucken verhindert. Das Einzige, was Sie dürfen und was auch dadurch „belohnt“ wird, daß es nicht wehtut, ist geradeaus laufen in exakt definiertem Abstand von dem, der Sie führt. Glauben Sie ernsthaft, daß das Lebensfreude, Selbstvertrauen und Selbstständigkeit fördert? Vermutlich eher nicht. Können Sie sich vorstellen, daß Sie als depressives Schattenwesen durch die Welt schleichen? Vielleicht neigen Sie persönlich ja auch dazu, eher unfreundlich und aggressiv zu werden, aber Beagle, das kann ich Ihnen versichern, nicht. Die werden immer stiller und trauriger, deren Augen sind nur noch trübe Knöpfe im Kopf, das ist kein Leben mehr in diesen Hunden, nur noch der Gedanke: alles geht vorüber – hoffentlich bald.

Was glauben Sie, warum z.B. so viele Goldies durchs Leben wie eine wandelnde Schlaftablette taumeln? Genau aus diesem Grund: sie sind depressiv. Wenn einem alles verboten wird, warum sollte man dann Spaß am Leben haben? Freude am Leben kann man nur empfinden, wenn man auch mal selber aktiv werden kann und darf. Das eigentliche Problem dieser Hunde ist, daß viele Menschen sie aber als ganz besonders angenehm empfinden. Der entsprechende Satz dazu lautet: dieser Hund ist so brav, man merkt gar nicht daß er da ist. Ja, um Himmelswillen, wozu brauche ich einen Hund, wenn ich ihn nicht bemerke? Ich heirate doch auch nicht den Mann, der mir am wenigsten auffällt? Oder vielleicht doch eher den, der am wenigsten Dreck macht? Oder nach welchen Kriterien wählen Sie sich Ihre Lebenspartner und Freunde aus?

Jetzt gibt es viele Zeitgenossen, die leugnen, daß Hunde psychische Probleme bekommen können. Depressionen bei Hunde, was soll das denn! Viele Menschen sind auch fest davon überzeugt, daß ein Hund sich einfach wohlfühlt, weil er bei einem Menschen ist. Es wird nicht hinterfragt, ob er das tatsächlich möchte und gut findet, nur die Tatsache, daß er bei einem Menschen lebt, reicht. Reicht Ihnen zum Glücklichsein die Anwesenheit irgendeines beliebigen Menschen? Auch wenn Sie ihn sich nicht ausgesucht haben? Und noch dazu, wenn dieser Mensch nicht besonders nett mit Ihnen umgeht? Mir nicht und ich kenne niemanden, der das bejahen würde. Und bei Hunden soll das anders sein?

Wer meint, Hunde seien einfach so per se glücklich und zufrieden, nur weil sie – welch großartige Leistung – 2x täglich gefüttert und regelmäßig spazieren geführt werden und weil man ihnen schließlich exakten Gehorsam beigebracht hat, hat sich nicht mit folgender Tatsache auseinandergesetzt: Viele psychische Probleme und die entsprechenden Psychopharmaka wurden an Hunden getestet, immer mit dem Ziel, z.B. depressiven Menschen helfen zu können. Die Hunde wurden, z.B. durch die Anwendung von Stromschlägen in Zustände versetzt, die man als depressiv definiert und dann mit entsprechenden Medikamentengaben wieder „geheilt“ hat. Ich möchte hier nicht auf die Widersinnigkeit und Unmenschlichkeit solcher Versuche eingehen, aber offensichtlich waren sie erfolgreich. Es gibt jedenfalls Antidepressiva, die auf Grundlage solcher Versuche getestet wurden. Wenn man aber nach grausamen Laborversuchen Hunde als depressiv bezeichnen kann, warum dann nicht, wenn sie mit grausamen Methoden erfolgreich zum Roboterdasein reduziert wurden?

 Hunde suchen sich das Leben bei uns nicht aus. Sie betteln nicht darum, von uns aufgenommen zu werden, aber sie können bei uns ein gutes und glückliches Leben führen,  wenn wir uns für sie Zeit nehmen:
Zeit, sie zu verstehen
Zeit, uns gut zu überlegen, was sie wirklich für das Leben mit uns brauchen
Zeit, ihnen das freundlich nahe zu bringen
Zeit, die wir ihnen lassen, um das verstehen und umsetzen zu können
und schließlich Zeit, mit ihnen ruhig und gelassen durchs Leben zu gehen und ihnen wahre Freunde und Partner zu sein.

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