„…das macht der doch nur wegen dem Leckerchen………

Kalla freut sichEine Kollegin hat mal zu mir gesagt, sie kennt keine einzige Kollegin, die im Training so entspannt und gelassen ist wie ich. Ob das so stimmt, weiß ich natürlich nicht, aber es ist eines der schönsten Komplimente, die ich je bekommen habe. Seitdem gehe ich mit dieser meiner Gelassenheit sehr bewußt um und genieße sie regelrecht.

ABER! Es gibt Sätze, die bringen mich in ca. 0,0001 Sekunden von Null auf Hundert. Sätze wie der in der Überschrift. „…das macht der doch nur wegen dem Leckerchen…“

So tiefgründige Weisheiten hört man vor allem von Leuten, die felsenfest davon überzeugt sind, daß sie alles, aber auch wirklich alles über Hunde wissen und selbstverständlich haben sie mit ihrem Hund auch alles, alles richtig gemacht. Logisch. Sonst würden sie solche Dinge ja nicht von sich geben. In welchen Situationen sagen sie sowas? Beispiele aus dem Leben einer Hundetrainerin:

1. Ein Hund hat in einer nicht wirklich empfehlenswerten Hundeschule gelernt, daß man immer stramm bei Fuß gehen muß, egal was von vorne kommt. Es könnte auf der Seite, auf der unser Hund per Kommando und Definition läuft, ein anderer Hund hinterm Zaun lauern, der ihn massiv bedroht. Jeder Versuch auszweichen wird mit Leinenruck und „Fuß hab ich gesagt“ womöglich noch am Ketten- oder Stachelwürger beantwortet. Irgendwann reicht es unserem Beispielhund und er fängt an zurückzudrohen, wahlweise durch einen versuchten tätlichen Angriff oder durch böses Knurren oder durch Bellen oder durch eine andere nette Mischung.

2. Ein Hund hat gelernt, daß seine Halter alles bedrohlich finden, was irgendwie des Weges kommt, egal ob von vorne oder von hinten, Radfahrer, Jogger, Traktoren, LKW, Autos, Spaziergänger mit und ohne Hund. Sowie so ein bedrohliches Subjekt auftaucht, dreht er völlig frei und mutiert zum Monster. Alle Versuche ihn abzulenken oder davon abzubringen scheitern kläglich.

3. Ein Hund hat gelernt, daß es am allerbesten ist, wenn er vor allem, was ihm im Laufe des Tages so begegnet, davonläuft. Er ist nicht mal in der Lage ruhig hinzusehen, er dreht sofort ab, versucht sich aus dem Geschirr zu winden und verschwindet so schnell wie möglich in der Pampa.

Alle drei Hunde haben etwas gemeinsam: ihre Menschen können ihnen nicht vermitteln, daß man Begegnungen mit was oder wem auch immer ruhig und freundlich meistern kann, daß weder von dem Hund hinterm Zaun, noch von überholenden oder entgegenkommenden Subjekten noch von irgendetwas, das einem eben so begegnet, auch nur die geringste Gefahr ausgeht. Irgendwann haben diese Hundehalter, deren Standardsatz so gut wie immer bei der Vorstellung lautet: „wir haben schon alles (!) probiert“, die Faxen endgültig dick und landen in einer Hundeschule, die gewaltfrei arbeitet, z.B. bei mir. Irgendjemand hat kühn behauptet, daß ich das hinkriege. Und sie wagen es tatsächlich, obwohl „alles“ nicht geklappt hat.

Meine Methode ist so einfach, daß die meisten beim Erklären sehr misstrauisch blinzeln und ich sehe ihnen förmlich an, was sie denken: „Das soll funktionieren????“ Im Detail erkläre ich jetzt das Procedere nicht, nur so viel: die Hunde lernen, sich von der vermeintlichen Gefahr ab- und sich mir, bzw. ihrem Menschen zuzuwenden – und zwar freiwillig. Der Hund wird nicht dazu gezwungen, falls er es nicht hinkriegt, gehen wir einfach mit ihm weg. Das ist eine unglaubliche Leistung. Denn man soll sich nur mal vorstellen, wie es einem selber gehen würde, wenn man sich oder seine Liebsten von irgendetwas oder -jemand extrem bedroht fühlt und ein Freund kann einem so viel Sicherheit geben, daß man es wagt, dieser grausigen Gefahr den Rücken zuzuwenden. Unsere Hunde werden natürlich dafür riesig gelobt und bekommen zur Belohnung selbstverständlich ein Leckerchen, manchmal sogar ein riesengroßes oder ganz viele.

Und jetzt kommt’s: kaum geht der Mensch, der ganz glücklich darüber ist, daß sein Hund den Hund hinterm Zaun, den Jogger oder den Spaziergänger mit Hund nicht mehr bedroht, daß er nicht mehr bei jeder Andeutung von eventuellen Gefahren davonrennt wie von tausend Teufeln gejagt, kaum geht also dieser Mensch mit seinem Hund und einem nachweislichen großartigen Hundeexperten spazieren und exerziert genau diese unsere erfolgreiche Übung, kommt prompt der berühmte Satz: „Ich habs genau gesehen. Das macht der nur wegen dem Leckerchen!“

Diese Menschen haben ein unglaubliches Glück, daß sie das nicht in meiner Gegenwart sagen, denn dann ist es mit meiner Ruhe vorbei und das ist nicht schön für mein Gegenüber. Die allerwenigsten fordern mich nach so einer Vorstellung jemals wieder heraus. Auch wenn ich weiß, daß es in den allermeisten Fällen viel, viel besser ist, einfach drüber hinwegzugehen und das meinen Kunden auch empfehle, kann ich jetzt definitiv nicht ruhig bleiben. Warum?

Weil es um Menschen und Hunde geht, die sowieso schon komplett unglücklich und verunsichert bei mir aufgeschlagen sind, weil ich diesen Menschen und Hunden eine ganz einfach Sache zeigen konnte, mit der sie ihr Problem lösen können, und dann kommt so ein Vollpfosten daher und verunsichert alle wieder. Weil einen Hund dafür zu belohnen, daß er etwas macht, was ich gerne hätte, ist irgendwie ein Schwerverbrechen und wenn der Hund das dann auch noch so versteht, daß er sich jetzt, nachdem er sich richtig verhalten hat, seine Belohnung einfordert, dann hört sich doch alles auf! Oder?

Ironie: aus.

Liebe Hundeexperten, ich bitte Sie innigst: behalten Sie Ihre Weisheiten für sich, damit ich gelassen bleiben kann. Allerdings mache ich eine Ausnahme. Falls Sie mir nachweisen können, daß Sie z.B
–  Ihren langweiligen, nervenden Job nicht deshalb machen, weil Sie damit Geld verdienen, sondern um völlig selbstlos Ihrem Chef einen Gefallen zu tun
– Ihr Vermögen nur in Projekte investieren, bei denen die Umwelt geschont, Kinderarbeit verboten und der Frieden gefördert wird, auch wenn Sie dabei draufzahlen
– Ihr Partner von Ihnen nur Geschenke oder Gefälligkeiten bekommt, die Ihnen extrem schwerfallen und von denen Sie absolut nichts haben, nicht mal den Dank Ihres Partners,
wenn Sie irgendetwas in dieser Richtung nachweisen können, dann dürfen Sie  – obwohl Sie nachweislich Null Ahnung von Hunden haben – weiterhin Ihren Unfug auch in meiner Umgebung verbreiten. Falls das aber nicht der Fall sein sollte, falls Sie keine der genannten Bedingungen erfüllen können, falls Sie z.B. der Meinung sind: „Leistung muß sich lohnen“, dann sind Sie doch bitte so freundlich und verschonen mich und alle Hundehalter, die freundlich mit ihren Hunden umgehen und sie mit Futter für erwünschtes Verhalten belohnen, mit Ihrer unsäglichen Ignoranz.

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